Dr. Christine Hohmann-Dennhardt, ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts, sprach über Fälle, in denen Behörden Kinder von ihren Eltern trennen, weil sie das Kindeswohl gefährdet sehen. In Art. 6 GG wird das Recht der Eltern, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen, festgeschrieben. Gleichzeitig wird ihnen aber die Pflicht zugewiesen, Sorge für ihre Kinder zu tragen. Dabei können Eltern zunächst einmal grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss darüber entscheiden, wie sie ihrer Verantwortung für ihre Kinder nachkommen wollen. Richtschnur ihres Handelns muss allerdings stets das Wohl des Kindes sein, denn das Elternrecht ist ein Recht im Interesse des Kindes. Das Kind hat als Grundrechtsträger seinerseits ein Recht darauf, dass seine Eltern ihrer Verantwortung ihm gegenüber nachkommen. Es gelingt leider nicht allen Eltern, in diesem Sinne gut zu ihren Kindern zu sein. Die Behörden dürfen und müssen in schlimmen Fällen eingreifen.
Hier kommt wieder Art. 6 GG ins Spiel, wie Hohmann-Dennhardt ausführte. Die Grundrechtsnorm nehme gewissermaßen als Pendant zur Elternverantwortung auch den Staat in Verantwortung. Er solle darüber wachen und ggf. sicherstellen, dass die Ausübung der elterlichen Verantwortung sich auch tatsächlich am Kindeswohl ausrichtet und dieses nicht gefährdet. Insofern sei er gehalten, zum einen gesetzlich zu regeln, wann und unter welchen Voraussetzungen der freien Ausübung des Elternrechts um des Kindes willen Grenzen zu setzen sind. Und er habe helfend und schützend tätig zu werden, wenn im Einzelfall eine Kindeswohlgefährdung droht, eingetreten sein könnte oder gar schon eingetreten ist.
Der Staat übt also mit allen seinen drei Gewalten sein Wächteramt aus: Die Legislative setzt die Normen im Familienrecht. Die Judikative hilft mit den Familiengerichten bei Streitigkeiten zwischen Eltern und Behörden. Die Exekutive schließlich, hier mit den Jugendämtern, soll die Eltern beraten, ihnen bei der Erziehung helfen und notfalls eben Kinder von ihren Eltern trennen.
Solche Fälle hätten seit 2006 stetig zugenommen, konstatierte Hohmann-Dennhardt. Das könne u.a. daran liegen, dass es in den letzten Jahren einige schwerwiegende Fälle von Kindesvernachlässigung, -missbrauch, -misshandlung oder sogar Kindestötung mit großem Medienecho gegeben habe. Den Jugendämtern wurde in diesem Zusammenhang immer wieder vorgeworfen, sie hätten zu spät eingegriffen, um Schlimmstes zu verhindern. Möglicherweise würden die Jugendämter jetzt einerseits in Verdachtsfällen genauer hinsehen, andererseits seien sie neuerdings dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden zu rasch eingreifen und das Elternrecht zu wenig respektieren. Jedenfalls seien die Abwägungen, die die Jugendämter treffen müssen, äußerst schwierig.
Wenn es zur Inobhutnahme kommt und das Jugendamt somit hoheitlich tätig wird, können Eltern sich dagegen zur Wehr setzen. Hier kommt dann das Verwaltungsgericht ins Spiel, das über behördliches Vorgehen entscheidet. Also sind in den Fällen der Inobhutnahme zwei Gerichte zuständig, das Verwaltungsgericht und das Familiengericht. Hohmann-Dennhardt sähe diese komplizierten und sensiblen Fälle lieber in der alleinigen Zuständigkeit der Familiengerichte, die in Kindeswohlfragen eindeutig die größere Expertise hätten. Hier sei der Gesetzgeber gefragt. Wenn die gesamte Prüfung einer Inobhutnahme in die Hände der Familiengerichtsbarkeit gelegt würde, könnten sich inhaltlich widersprechende Entscheidungen verhindert werden. Auch gäbe es mehr Klarheit, Transparenz, Zügigkeit und Effizienz, ganz im Sinne des Kindeswohls. In ihrem Vortrag beleuchtete die ehemalige Verfassungsrichterin das Rollenverhältnis und Zusammenspiel zwischen Jugendämtern und Familiengerichten ausführlich und aus verschiedenen Perspektiven.
Den gesamten Vortrag "Kindeswohl und Inobhutnahme" von Frau Dr. Hohmann-Dennhardt finden Sie in diesem Heft (S. 289 ff.).