Die Rechtsprechung des BVerfG nimmt Grundrechte als Abwehrrechte ernst, die individuelle Freiheit gegen staatliche Eingriffe schützen und keine Matrix für eine gute Ordnung sind. Das Argument, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sei nicht primär ein eigenes Grundrecht, sondern diene vor allem dem Schutz des Kindes, ist missverständlich. Das Elterngrundrecht ist ein subjektives Freiheitsrecht ohne Abstriche. Dass damit zugleich dem Kindeswohl gedient wird, ist eine dahinter stehende Verfassungserwartung, aber keine Bedingung des Grundrechtsschutzes. Jede Verkürzung des Elternrechts ist ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff. Und der spezifische Zweck des Grundrechts richtet sich gerade auch gegen staatliche Anmaßung von überlegener Erziehungskompetenz. Wenn in der politischen Diskussion nicht selten eine Stärkung behördlicher Interventionsrechte schematisch mit wirksamem Kinderschutz gleichgesetzt wird, zeigt dies nur, dass gerade diese Schutzfunktion alles andere als obsolet geworden ist. Verfassungsdogmatisch wäre es daher sinnvoller, statt das Elternrecht als fremdnütziges bzw. dienendes Grundrecht zu etikettieren, Grundrechte der Eltern und der Kinder klarer auseinanderzuhalten und im echten Konfliktfall als Frage der Güterkollision mit Pflicht zum schonenden Ausgleich zu behandeln.
Die reaktive Empfindlichkeit der Jugendämter hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass in jüngerer Zeit vermehrt tragische Einzelfälle der Verwahrlosung für öffentliche Empörung sorgten und daher niemand für ein zögerliches Handeln verantwortlich sein will. Ein an subjektiven Risikowahrnehmungen orientierter Aktionismus wäre freilich seinerseits risikobehaftet. Denn Unsicherheiten führen in einer risikobewussten Gesellschaft erfahrungsgemäß zunächst zu übersteigerten Risikowahrnehmungen, die dann aber oft Grund für übereilte Fehlbeurteilungen sind. Bekannt geworden sind immerhin auch Fälle, in denen Kinder gerade bei den Pflegefamilien, in denen sie auf Antrag der Jugendämter untergebracht wurden, schwerwiegenden Misshandlungen ausgesetzt waren. Solche Fälle werden zunehmen, wenn die Jugendämter generell die Eingriffsschwelle senken. Die Verantwortlichkeit des Staates wiegt dann deutlich schwerer.
Die grundrechtlich qualifiziert geschützten emotionalen Bindungen in den Eltern-Kind-Beziehungen und deren edukative Ausgestaltung entziehen sich kühler Erziehungsprogrammatik und sind als Ausdruck sehr unterschiedlicher Lebensentwürfe auch in Erziehung und Kindeswohlerwartung schlicht hinzunehmen. Dahinter steht auch eine konkrete Verteilung von Beurteilungskompetenzen. Ziel und Inhalt der Kindererziehung werden unterhalb einer konkreten Gefahr der Kindeswohlgefährdung, für die der eingreifende Staat darlegungs- und beweispflichtig ist, von den Eltern festgelegt und bleiben jenseits des schulischen Erziehungsauftrags (Art. 7 Abs. 1 GG) einer autoritativen Bewertung entzogen. Dies ist in einer Gesellschaft, die pluralistischer geworden ist, auf sehr inhomogene Wertvorstellungen trifft und sehr unterschiedlichen individuellen Identitäten Raum verschaffen muss, damit aber auch schneller Forderungen nach staatlicher Intervention und Protektion provoziert, von kardinaler Bedeutung.
Die immer wieder aufflammende verfassungspolitische Debatte, ob man sog. "Kinderrechte" in das Grundgesetz einfügen will, lässt sich auch als Versuch verstehen, die verfassungsgerichtlichen Abwägungsparameter zugunsten einer behördlichen/gerichtlichen Intervention zu verschieben. Schon die plakative Bezeichnung "Kinderrechte" ist hierbei eine eher plumpe Camouflage, da es nicht um subjektive Rechte der Kinder geht – diese werden bereits durch Grundrechte umfassend vermittelt und wurden gerade vom BVerfG jüngst immer wieder betont –, sondern um eine Stärkung von Eingriffsbefugnissen der Jugendämter und Familiengerichte durch objektives Verfassungsrecht. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat dies mit Recht bislang nicht aufgegriffen. Vermeintliche Kinderrechte wären gegen das Elternrecht gerichtet. Ihnen wäre die Gefahr inhärent, soziale Asymmetrien zu verstärken und Kinder zur Verfügungsmasse eines objektivierten behördlichen Auftrags zur edukativen Optimierung machen: Gerade "bildungsferne" Problemfamilien aus sozialen Brennpunktvierteln geraten dann ins Hintertreffen, zumal in einer Gesellschaft, die in ihren übersteigerten Erwartungen an Bildung und formalisierbaren Erfolg anderen – weniger leicht rationalisierbaren – Werten strukturell die gebührende Anerkennung verweigert.
Ungeachtet unterschiedlicher Risikolagen ist die Gefahr greifbar, dass Jugendämter gerade dort robust intervenieren, wo die Eltern strukturell wehrlos sind, weil ihnen nachvollziehbar die sozialkommunikativen Kompetenzen fehlen, sich in der emotional belastenden Zwangslage des Entziehungsverfahrens ohne qualifizierte anwaltliche Hilfe wirksam in der Mechanik familiengerichtlicher Verfahren zu verteidigen. Daher fällt gerade den Gerichten di...