Einführung
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht nach § 1666 BGB die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Hierzu zählt nach § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB auch die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge. Hiermit gehen häufig Maßnahmen einher, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist. Mit Blick auf die damit verbundenen Grundrechtseingriffe von sehr hoher Intensität handelt es sich durchweg um besonders verfassungssensible Entscheidungen, was zu einer vergleichsweise engmaschigen Kontrolldichte des BVerfG gegenüber den Fachgerichten geführt hat. Eine Serie an Kammerentscheidungen aus den letzten vier Jahren hat hierbei für Verunsicherung gesorgt. Betrachtet man die Spruchpraxis genauer, wird freilich lediglich eine lange etablierte Senatsrechtsprechung fortgeführt (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), ohne eine Trendwende in die eine oder andere Richtung einzuleiten. Das BVerfG hat allerdings die anerkannten – obgleich jedenfalls in einigen (wenigen) Fällen gröblich verkannten – verfassungsrechtlichen Anforderungen an Sorgerechtsentziehung bzw. Fremdunterbringung fallbezogen nachkonturiert, was absehbar in der familiengerichtlichen Rechtsprechung Spuren hinterlassen wird. Die wesentlichen Grundlinien sollen hier dargestellt und bewertet werden.
I. Tatbestand
Das BVerfG überträgt kanonisierte verfassungsrechtliche Anforderungen aus Art. 6 Abs. 2–3 GG auf die Anwendung der §§ 1666, 1666a BGB, wobei sich zeigt, dass die textlich spärlichen Bestimmungen des BGB vollständig von der verfassungsrechtlichen Prüfungskaskade aus Art. 6 Abs. 2–3 GG absorbiert werden. Das BVerfG steigt in die Prüfung meist schematisch über eine abstrakte Maßstabsbildung ein. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert hiernach den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auch auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann. Die Elternverantwortung steht zwar unter dem zu Eingriffen ermächtigenden Vorbehalt des staatlichen Wächteramtes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG als Konkretisierung des Wächteramtes stellt den stärksten Eingriff in das Elternrecht dar. Zugleich wird aber auch in das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern eingegriffen, das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet ist und insoweit das Elternrecht spiegelt. Ein Eingriff durch Trennung trifft "mit gleicher Intensität das Kind selbst", was diesem einen gleichwertigen Abwehranspruch gegen staatliche Intervention verschafft. Elternrecht und Kinderrecht haben insoweit in ihrer Abwehrdimension eine parallele Schutzrichtung.
1. Qualifizierte Anforderungen an eine Trennung
Die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Art. 6 Abs. 3 GG ermächtigt zu einer zwangsweisen Trennung nur, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Das BVerfG hat dies näher konkretisiert. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigen den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbs...