Aber geht es nur um Einstellungen oder geht es für viele Familien insbesondere in Städten und in deren Umfeld angesichts unbezahlbarer Mieten[51] in Wirklichkeit doch um den finanziellen Zwang, dass beide Eltern arbeiten müssen, da man sich sonst Familie nicht mehr leisten kann.[52] Zudem werden Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt gebraucht. Damit hat sich die Diskussion um die frühkindliche Erziehung weg von der Frage, ob Kleinkinder eine Bezugsperson brauchen, auf die Frage der Betreuung fokussiert,[53] so als könnte eine flächendeckende Versorgung mit Krippenplätzen jedes Problem lösen.[54]

Bereits Karl Marx[55] und Friedrich Engels gingen davon aus, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem die bisher mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet und "dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt" habe. Besonders deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel des Social Freezing. Es wird propagiert unter der medizinischen Botschaft "Wir schaffen die Wechseljahre der Frau ab."[56] Es geht dabei nicht mehr um medizinische Hilfe bei schweren Krankheiten oder den Versuch, Kinderlosigkeit auf medizinischem Weg mit Hilfe der modernen Fortpflanzungsmedizin abzuhelfen, sondern vielmehr um das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund, damit junge "Frauen ihre Fruchtbarkeitsphase mit allen Mitteln verschieben, um der Wirtschaft voll zur Verfügung zu stehen".[57] Amerikanische Arbeitgeber, wie z.B. Apple und Facebook, haben Social Freezing bereits in ihre Sozialleistungen aufgenommen. Das Einfrieren von weiblichen Eizellen auf Firmenkosten erhöht den Druck auf die berufstätigen Frauen.[58] Die Arbeitgeberleistungen Kantinenessen, Fitnessstudio und Benzingutscheine werden künftig zunehmend durch die Finanzierung der Familienumplanung ergänzt werden. Entsprechend der "Prognose" von "Brave New World" könnten die "Zeiten roher Fortpflanzung durch Lebendgebären" und der "Aufzucht und Erziehung der Kinder" durch ihre Eltern bald der peinlichen geschichtlichen Vergangenheit angehören.[59]

[51] Vgl. hierzu Grziwotz, Unbezahlbare Heimat (erscheint demnächst). Vgl. auch Art. 125 Abs. 3 BV, wonach kinderreiche Familien Anspruch auf angemessene Fürsorge, insbesondere auf gesunde Wohnungen haben.
[52] Ebenso Dervisopoulos, in: chrismon, Das evangelische Magazin, 9/2015, S. 22, 24. S. demgegenüber Vinken, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 238 v. 16.10.2015, S. 22, die von der "Erotik des doppelten Einkommens" spricht.
[53] Vgl. dazu auch die Diskussion um den Schadensersatzanspruch der Eltern bzw. des Kindes bei einem nicht bereitgestellten Krippenplatz (OLG Dresden, Urt. v. 26.8.2015 – 1 U 319/15, NZFam 2015, 915 m. Anm. Rixen, sowie Böh/Salaw/Hanselmayer/Gediga, FamRB 2015, 480 ff.) und zum Abzug von Kinderbetreuungskosten OFD Niedersachsen v. 27.4.2015 – S 2221 B-1-St 236, www.iww.de (Abruf Nr. 144778).
[54] So auch Ortgies, in: chrismon, Das evangelische Magazin, 9/2015, 22, 25.
[55] MEW Bd. 4 1972, S. 459, 465.
[56] Puchta, Kinderwunschzentrum an der Oper, Reproduktionsmedizin München, Social Freezing, https://www.kinderwunschzentrum-an-der-oper.de/service/presse-news/aktuelles-detailansicht/social-freezing-baby-auf-eis-gelegt.html, Stand: 22.2.2016; vgl. auch von Wolff, in: von Wolff/Stute, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, 2013, S. 409 ff.
[57] Zutreffend Ortgies, in: chrismon, Das evangelische Magazin, 9/2015, 22, 26.
[59] A. Huxley, Schöne neue Welt, 1971, S. 31.

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