1. Frühkindliche Erziehungs-Aufgabe der Familie oder Bildungsaufgabe?
Befürworter und Kritiker des Betreuungsgeldes sind sich einig: "Familien sind der stabile Kern unserer Gesellschaft." Sie "stehen hoch im Kurs und leisten einen wichtigen Beitrag für den Wohlstand und das Wohlbefinden in Deutschland." Die Familie soll zudem "der Ort der ganzheitlichen Erziehung" sein. Nach Hegel hat die Erziehung der Kinder in Bezug auf das Familienverhältnis zunächst die Bestimmung, "dass die Sittlichkeit in ihnen zur unmittelbaren, noch gegensatzlosen Empfindung gebracht (werde) und das Gemüt darin als dem Grunde des sittlichen Lebens, in Liebe, Zutrauen und Gehorsam sein erstes Leben gelebt habe". Gleichzeitig sollen die Kinder "zur Selbstständigkeit und freien Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, aus der natürlichen Einheit der Familie zu treten", erzogen werden. Mit einer Akzentverschiebung formuliert dies ähnlich der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung "Lebenslagen in Deutschland":
Zitat
"Familie ist der natürliche und erste Bildungsort, den ein Kind erlebt. Familie ist als erste verantwortlich für einen guten Start ins Leben, für die gelingenden Übergänge in die verschiedenen Bildungs- und Lebensabschnitte und für eine gute Begleitung auf den Weg ins Erwachsenenleben … Nicht alle Kinder starten jedoch mit den gleichen guten Grundvoraussetzungen in ihrem sozialen Umfeld. Da wo Eltern – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage sind, ein Kind so zu unterstützen, wie es andere Familien können, da sind die institutionellen Angebote notwendig, um diesen Kindern eine faire Bildungschance zu eröffnen."
Abgesehen von den sprachlichen Schwierigkeiten dieses Berichts, den man aber mit dem nicht offen gelegten Versuch der Darstellung in "einfacher Sprache" rechtfertigen kann, geht es darin um "frühkindliche Betreuungs- und Bildungserfahrungen", die Einfluss auf einen gelungenen Ausbildungsstart und damit später die Position am Arbeitsmarkt haben. Sie beeinflussen ferner die Weiterbildung, die Phasen der Arbeitslosigkeit und das Einkommen im Alter. Die frühkindliche Kinderbetreuung erfährt somit einen Bedeutungswandel. Es geht nicht mehr vorrangig um die Sorge für das Kind, sondern um den Bildungsbereich. Die KiTa wird gleichsam zur voruniversitären Bildungseinrichtung.
Wird die frühkindliche Erziehung nicht mehr im Rahmen des Aufeinander-Bezogen-Seins von Mutter oder Vater und Kind gesehen, sondern als Bildungsaufgabe wie die schulische Erziehung, kann sie auch an andere "abgetreten" werden. Beispiele sind Verwandte, zu diesem Zweck bezahlte Tagesmütter oder Betreuer in einer Krippe. Es kommt damit zu einer "“Verdinglichung’ des Kindes, das gleichsam zum Betreuungsobjekt wird, welches nur der fachmännischen Pflege bedarf, um sich optimal zu entwickeln".
2. Erosion familienzentrierter Lebensstile …
Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hat in diesem Zusammenhang von einer "Erosion familienzentrierter Lebensstile" gesprochen. Dies hat möglicherweise auch damit zu tun, dass zwischenzeitlich Kinderlosigkeit in Deutschland kulturell positiv verankert ist (Leitbild der autonomiebetonten Kinderlosigkeit), während Kinderreichtum eher negativ besetzt ist. Und es ist wohl auch nicht zufällig, dass der noch 2007 als Unwort des Jahres im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld verwendete Begriff der "Herdprämie", der Assoziationen zu dem landwirtschaftlichen Terminus der Mutterkuhprämie erweckt, in familienpolitischen Diskussionen wieder salonfähig geworden ist. Hierzu gehören auch die etwas milderen Begriffe des "Ernährer-Modells" und des "Retraditionalisierungsschubs" junger (ostdeutscher) Frauen. Das schlechte Gewissen, das Frauen früher hatten, wenn sie wegen der Anforderung der Arbeitswelt keine Zeit aufbrachten, sich um ihre Kinder zu kümm...