Ein vollständiges Entfallen der Verpflichtung zur Leistung von Barunterhalt des nicht betreuenden Elternteils mit der Folge, dass der betreuende Elternteil zusätzlich zu seinen Betreuungsleistungen auch noch den Barunterhalt für das Kind aufbringen muss, kommt nach der Rechtsprechung des BGH in Betracht, wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt. In einem solchen Fall nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen.
Dabei ist jedoch zu prüfen, ob der barunterhaltspflichtige Elternteil auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen kann. Kann er nach Zahlung des Barunterhalts über seinen angemessenen Selbstbehalt verfügen, greift in der Regel die volle Haftung des besser verdienenden Elternteils nicht ein. Nur in wenigen Ausnahmefällen ist es gerechtfertigt, dem sehr viel besser verdienenden betreuenden Elternteil die Verpflichtung aufzuerlegen, auch für den vollen Barunterhalt des Kindes aufzukommen.
Eine Verpflichtung des verdienenden betreuenden Elternteils zur Übernahme des vollen Kindesunterhalts setzt eine umfassende Billigkeitsabwägung voraus. Bei ihr sind nicht nur die jeweiligen Einkommen der Eltern gegenüberzustellen, sondern auch die sonstigen unterhaltsrechtlichen Belastungen der Elternteile. So berücksichtigt der BGH aufseiten des barunterhaltspflichtigen Elternteils, ob sein eigener Unterhalt in neuer Lebensgemeinschaft gesichert ist. Zu Gunsten des betreuenden Elternteils ist festzustellen, inwieweit dieser aufgrund der individuellen Verhältnisse durch die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit belastet wird. Weiter ist zu berücksichtigen, ob der betreuende Elternteil auch anderen Personen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist.
Schließlich ist zu beachten, dass das bei dem betreuenden Elternteil lebende minderjährige Kind faktisch auch dessen gehobene Lebensverhältnisse teilt mit der Folge, dass ein dadurch erzeugter zusätzlicher Barbedarf des Kindes von vornherein allein durch den betreuenden Elternteil befriedigt werden muss.
Kann der barunterhaltspflichtige Elternteil seinen angemessenen Selbstbehalt auch nach Zahlung des Kindesunterhalts verteidigen, und verfügt der besser verdienende betreuende Ehegatte über ein Einkommen, das weniger als das Dreifache des Nettoeinkommens des barunterhaltspflichtigen Elternteils beträgt, scheidet auch bei einer erheblichen Einkommensdifferenz eine vollständige Enthaftung des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils häufig aus.
Ob überhaupt und in welchem Umfang der nicht betreuende Elternteil in solchen Fällen bei der Aufbringung des Barunterhalts ausnahmsweise entlastet werden kann, ist nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der oben dargelegten Parameter zu prüfen. Als rechnerischer Ausgangspunkt kann auf den Verteilungsmaßstab der elterlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB zurückgegriffen werden. Sofern bei der Quotenberechnung das vergleichbare Einkommen der Eltern dadurch bestimmt wird, dass von den unterhaltsrelevanten Einkünften beider Elternteile jeweils der angemessene Selbstbehalt als Sockelbetrag abgezogen wird, müssen die auf diese Weise ermittelten Haftungsanteile in aller Regel zugunsten des betreuenden Elternteils wertend verändert werden, um der Gleichwertigkeitsregel des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB Geltung zu verschaffen. Der BGH hat es gebilligt, dem betreuenden Elternteil bereits bei der Bestimmung des vergleichbaren Einkommens im Rahmen der Quotenberechnung einen höheren Sockelbetrag zu gewähren.
Nach Abzug des (aufseiten des betreuenden Ehegatten ggf. zu erhöhenden) angemessenen Selbstbehalts ist das verbleibende Einkommen beider Elternteile zu vergleichen. Eine anteilige Mithaftung des betreuenden Elternteils kann bei einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht angenommen werden. Wie hoch die nunmehr verbleibende Einkommensdifferenz sein muss, ist in der Rechtsprechung nicht definiert. Das OLG Schleswig nimmt eine erhebliche Einkommensdifferenz bei mindestens 500 EUR an. Im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuungsunterhalt dürfte dieser Betrag zu niedrig angesetzt sein.
Im Ergebnis kann es daher auch bei erheblich günstigeren Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils dabei verbleiben, dass der nicht betreuende Elternteil im erhöhten Maße und ggf. auch allein zur Aufbringung des Barunterhalts heranzuziehen ist.