Rechtsprechung zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 1631b Abs. 2 BGB liegen bislang noch nicht vor, insbesondere fehlen Ausführungen zu "über einen längeren Zeitraum", "regelmäßig" und "in nicht altersgerechter Weise". Veröffentlicht wurden zwischenzeitlich lediglich zwei Rechtsgutachten des DIJuF[4] zu der Vorschrift des § 1631b Abs. 2 BGB. Mit Rücksicht hierauf muss zur Klärung der einzelnen Begriffe auf die Begründung des historischen Gesetzgebers[5] abgestellt werden.

Bei den Tatbestandsmerkmalen "über einen längeren Zeitraum" und "regelmäßig" nimmt der Gesetzgeber selbst Bezug auf die Begründung zum Betreuungsgesetz:[6]

Zitat

"Danach liegt ein" “regelmäßiges' Hindern vor, wenn es entweder stets zur selben Zeit erfolgt (Absperren der Tür jeweils zur Nachtzeit) oder aus wiederkehrendem Anlass (wiederkehrendes Einsperren eines Betreuten jedes Mal, wenn er die Nachtruhe stört). Ein "ununterbrochenes" Hindern setzt nicht voraus, dass die Maßnahme auf lange Dauer angelegt ist. Im Gegensatz zum regelmäßigen Hindern ist aber erforderlich, dass es nicht nur während bestimmter Zeiten oder aus bestimmten Anlässen erfolgt. Eine feste Grenze, bei deren Überschreiten eine vorübergehende Maßnahme zu einer ununterbrochenen wird, ist in Absatz 4 nicht vorgesehen. Erwogen werden könnte zwar eine Begrenzung auf den nach Beginn der Maßnahme folgenden Tag, wie dies bei freiheitsentziehenden Maßnahmen ohne richterliche Entscheidung teilweise vorgesehen ist (vgl. die in § 128 StPO für die vorläufige Festnahme enthaltene Regelung). Eine solche Beschränkung wäre aber wohl zu unflexibel; es kann verantwortet werden, etwa die Anbringung eines Gitters am Bett des Betreuten bei einem vorübergehenden Fieberanfall auch für eine etwas längere Zeit ohne Einholung oder Nachholung der richterlichen Genehmigung vorzusehen.“

[Hervorh. d. Verf.]

Hieraus ergibt sich, dass von einer Regelmäßigkeit bereits dann ausgegangen werden kann, wenn die freiheitsentziehende Maßnahme stets zur gleichen Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt.[7] Auf die Dauer der einzelnen freiheitsentziehenden Maßnahmen kommt es bei dem Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit nicht an. Auch kurzzeitige Maßnahmen sind genehmigungspflichtig, wenn sie regelmäßig vorgenommen werden, sofern es sich nicht allein um unerhebliche Verzögerungen der Möglichkeit zur Fortbewegung handelt. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Freiheitsentziehung über einen Zeitraum von 30 Minuten[8] keine unerhebliche Verzögerung mehr. Hieraus folgt, dass "nur ganz geringfügige anlassbezogene Einschränkungen der Freiheit von der Genehmigungspflicht ausgenommen sind."[9] Entscheidend hierfür ist der Einzelfall.

Bei der "nicht altersgerechten Weise" ist auch stets auf den Einzelfall abzustellen. So unterliegen adäquate und übliche Maßnahmen bei der Erziehung oder zum Schutz des Kleinkindes nicht der Vorschrift des § 1631b Abs. 2 BGB.[10]

Im Übrigen nimmt die Vorschrift des § 1631b Abs. 2 S. 2 BGB Bezug auf den § 1631b Abs. 1 S. 2 BGB. Dadurch wird klargestellt, dass die freiheitsentziehenden Maßnahmen nur zulässig sind, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwehr einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich sind und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Die freiheitsentziehenden Maßnahmen müssen daher erforderlich und verhältnismäßig sein. Sie sind lediglich als letztes Mittel (ultima ratio) einzusetzen.

Der Gesetzgeber hat wie bei der freiheitsentziehenden Unterbringung auch bei den freiheitsentziehenden Maßnahmen davon abgesehen, einzelne

Zitat

"Gründe für eine freiheitsentziehende Maßnahme aufzuzählen, weil diese Gründe hierfür zu vielschichtig sind, um abschließend genannt werden zu können. Er nennt stattdessen (nur) beispielhaft die Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung."[11]

Auch die freiheitsentziehenden Maßnahmen sind nur unter strikter Wahrung des in Art. 20 GG verankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Im zivilrechtlichen Kinderschutz gilt daher das Prinzip "Vorrang der Hilfe vor dem Eingriff." Der Familienrichter ist daher verpflichtet zu prüfen, ob minder einschneidende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vorhanden sind.[12]

[4] JAmt 2017, 492 und 495.
[5] BT-Drucks 18/11278, 1 ff.
[6] BT-Drucks 18/11278, 15.
[7] DIJuF-Rechtsgutachten v. 21.9.2017.
[8] BGH FamRZ 2015, 567, 569 m. Anm. Bienwald.
[9] Götz, FamRZ 2017, 1289, 1291.
[10] Götz, FamRZ 2017, 1289, 1291; Palandt/Götz, 77. Aufl. 2018, § 1631b BGB Rn 5, 6; Keuter, ZKJ 2017, 307, 309; Hoffmann, JAmt 2017, 353, 355.
[11] BT-Drucks 16/6815, 14.
[12] Palandt/Götz, 77. Aufl. 2018, § 1631b BGB Rn 9.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge