Ganz anders dagegen die Situation in der Schweiz: Die schweizerische Praxis folgt in der Frage der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils praktisch einhellig einem in der Literatur als "10/16-Regel" bezeichneten Altersphasenmodell, dem zufolge vom betreuenden Elternteil eine Teilerwerbstätigkeit im Umfang von 50 % erwartet werden kann, sobald das jüngste zu betreuende Kind 10 Jahre alt ist, und eine Vollerwerbstätigkeit, sobald das jüngste Kind 16 Jahre alt ist. Zusätzlich ist die mutmaßliche Dauer der beruflichen Wiedereingliederung des betreuenden Elternteils zu berücksichtigen. Die Eckwerte gehen auf ein über ein Vierteljahrhundert altes Urteil des schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahr 1983 zurück: In der Entscheidung wird hervorgehoben, ein Unterhaltsanspruch bestehe, solange die Kinder eine umfassende Fürsorge und Pflege benötigten, was bis zum 16. Altersjahr des jüngsten Kindes zutreffen dürfte, sowie für die mutmaßliche Dauer der beruflichen Wiedereingliederung. An dieser Praxis hat das Bundesgericht auch nach der Scheidungsrechtsrevision aus dem Jahr 2000 unverändert festgehalten; die "10/16-Regel" gilt dabei nicht allein in Mehrkinder-, sondern auch in Einkindfamilien.
Der Kritik, die seinerzeitigen Eckwerte seien nicht mehr zeitgemäß, weil sich das soziale Umfeld in der Schweiz mittlerweile beträchtlich gewandelt habe, hält das Bundesgericht entgegen, die Richtlinien behielten auch heute noch ihre Gültigkeit, weil die unmittelbare persönliche Betreuung und Pflege vor allem kleiner und im obligatorischen Schulalter stehender Kinder nach wie vor deren Interesse diene und einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Zuteilung der elterlichen Sorge bilde.
Vom Bundesgericht wird dabei allerdings immer betont, dass die "10/16-Regel" nicht starr sei, sondern es sich um eine auf durchschnittliche Verhältnisse zugeschnittene Richtlinie handele, die stets auf ihre Übertragbarkeit auf den jeweiligen Einzelfall hin überprüft werden müsse. Daher sei die Richtlinie von den Tatsacheninstanzen in Ausübung des diesen zustehenden Ermessens mit Augenmaß anzuwenden. Deshalb sei es auch möglich, eine weitergehende Erwerbsobliegenheit anzunehmen, wenn sie vom betreuenden Elternteil schon vor der Trennung tatsächlich ausgeübt oder das Kind fremdplatziert ist, so dass der betreuende Elternteil an einer (Teil-) Erwerbstätigkeit nicht gehindert ist oder bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen. Umgekehrt kann eine Erwerbstätigkeit aber auch jenseits der "10/16-Regel" unzumutbar sein, beispielsweise bei einem in besonderem Maße betreuungsbedürftigen oder behinderten Kind.
Nicht ganz klar ist, inwieweit die kantonale Gerichtspraxis diesen Prinzipien folgt: In der schweizerischen Literatur wird vielfach berichtet, dass die erstinstanzliche Rechtsprechung den Zeitpunkt, zu dem vom betreuenden Elternteil eine Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen oder vom Umfang her aufzustocken ist, früher ansetzen soll.