Das Unterhaltsrecht ist immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Für das Verständnis der jeweiligen Regelungen ist deshalb die Kenntnis des Umfelds, in dem Partnerschaft und Familie gelebt werden, von größter Bedeutung. Zur Illustration nur einige wenige, markante Punkte:
1. Anhaltend hohe Scheidungszahlen
In der Schweiz hat – ähnlich wie in Deutschland – die Zahl der Scheidungen seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stark zugenommen: Im Jahr 2007 zählte man dort 2,6 Scheidungen auf 1.000 Einwohner, wohingegen es in Deutschland zum gleichen Zeitpunkt 2,3 Scheidungen je 1.000 Einwohner waren. Für beide Länder gilt: Kürzere Ehen erweisen sich als besonders scheidungsanfällig; sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland endet ein Großteil der Ehen früher oder später vor dem Scheidungsrichter. Die hohen Scheidungszahlen bringen es mit sich, dass immer mehr Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen sind; in der Schweiz sind, kaum anders als in Deutschland, grob in etwa der Hälfte der Scheidungen Kinder involviert.
2. Starkes Anwachsen der Zahl nichtehelicher Geburten
Die Vorstellung, dass die Gründung einer Familie mit Kindern nur nach einer Heirat in Betracht kommt, ist ein Gedanke, der sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland im Rückzug begriffen ist: Zwar ist im internationalen Vergleich der Anteil nichtehelicher Geburten an den Geburten insgesamt in der Schweiz nach wie vor noch außerordentlich gering; er betrug im Jahr 2006 lediglich 15,4 %. Aber der Anteil nichtehelicher Geburten ist stark im Wachsen begriffen. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Anteil nichtehelicher Geburten im gleichen Jahr bereits bei etwa 30 %. Bemerkenswert ist dabei der deutliche Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland: Während der Anteil der außerhalb einer bestehenden Ehe geborenen Kinder 2006 in Westdeutschland bei etwa 24 % lag, betrug er im Osten bereits 60 %. Im europäischen Vergleich ist die Quote nichtehelicher Geburten sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland freilich noch relativ niedrig: Denn Länder wie beispielsweise Österreich (37 %), Frankreich (48 %), Großbritannien (43 %) oder die skandinavischen Staaten (jeweils über 50 %) weisen deutlich höhere Anteile auf.
3. Geänderte Einstellung zu Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung
Die Einstellung zur Erwerbstätigkeit ist in unterhaltsrechtlicher Sicht ein ganz entscheidender Faktor. Denn wenn bereits während der bestehenden Ehe beide Ehegatten berufstätig sind, werden sie im Falle einer Scheidung seltener auf finanzielle Unterstützung des früheren Partners angewiesen sein. In dieser Hinsicht ist in beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten ein starker Wandel zu verzeichnen: Die Erwerbsquote von Frauen hat deutlich zugenommen; das Bild von der Familie, in der die Mutter sich der Kindererziehung und Hausarbeit widmet, wohingegen der Vater das Geld verdient, gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Mit 73,5 % weist die Schweiz eine der höchsten Frauenerwerbsquoten in Europa auf; sie übersteigt diejenige in Deutschland, wo sie im gleichen Jahr – 2008 – ...