Da es hier um eine Würdigung aus Anlass des 15-jährigen Geburtstags der Fachanwaltschaft geht, sollen die Voraussetzungen für den Erwerb der Fachanwaltschaft zwar nicht ganz ausgespart, aber auch nicht vertieft werden.
Die Voraussetzungen sind – in aller Kürze:
- Eine mindestens dreijährige Zulassung zur Anwaltschaft und Tätigkeit als Rechtsanwalt innerhalb der letzten sechs Jahre vor Antragstellung (§ 3 FAO).
- Der Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse, der in der Regel durch den Besuch eines Fachanwalts-Lehrgangs im Umfang von mindestens 120 Zeitstunden (+ Klausuren) erfolgt (§§ 4, 4a FAO). Worauf sich die besonderen theoretischen Kenntnisse beziehen müssen, ergibt sich im Familienrecht aus § 12 FAO.
- Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen, der im Familienrecht gem. § 5 Abs. 1 lit. e FAO den Nachweis von 120 Fällen erfordert. Mindestens 60 der Fälle müssen gerichtliche Verfahren sein, wobei gewillkürte Verbundverfahren sowie Verfahren des notwendigen Verbundes mit einstweiligen Anordnungen doppelt zählen.
In der Praxis haben die Fachanwaltschaft für Familienrecht und die Auslegung der entsprechenden Normen bislang wenig Probleme bereitet. Welche Fälle unter den Oberbegriff "Familienrecht" zu subsumieren sind, ist – anders als bei manchen der übrigen Fachanwaltschaften (allen voran dem IT-Recht) – meist ohne Schwierigkeiten zu bestimmen.
Probleme ergeben sich allenfalls bei der Fallzählung als solcher, also der Frage, was ein "Fall" i.S.v. § 5 Abs. 1 lit. e FAO ist. Deshalb haben Vertreter aller Vorprüfungsausschüsse im Bundesgebiet, die sich im Jahr 2001 in Berlin zu einem großen Erfahrungsaustausch getroffen haben, in Ziff. II.6.3.3 der "Berliner Empfehlungen 2001" Folgendes festgelegt:
Zitat
6.3.3.1 Die Teilnehmer des Erfahrungsaustausches aus dem Bereich des Familienrechts haben festgestellt, dass die Definition des Falles in den einzelnen Rechtsanwaltskammern sehr unterschiedlich gehandhabt wurde. Im Interesse einer Gleichbehandlung aller Antragsteller ist eine Vereinheitlichung geboten.
6.3.3.2 Als einheitlichen Lebenssachverhalt im Familienrecht betrachten die Teilnehmer jeweils Vorgänge aus folgenden Bereichen:
- das Scheidungsverfahren einschließlich notwendiger Verbundsachen
- Unterhalt (minderjährige Kinder und Ehegatten)
- Vermögensauseinandersetzung einschließlich Güterrecht und Schuldenregelungen
- Hausrat und Ehewohnung
- die die Kinder betreffenden Sachen wie elterliche Sorge und Umgang.
6.3.3.3 Außergerichtliche Beratungen aus diesen Bereichen zählen nur als ein Fall.“
Und nach Ziff. II.9.2 der "Berliner Empfehlungen 2001" soll im Familienrecht der Gewichtung nach § 5 S. 2 (a.F. = Abs. 4) FAO besondere Bedeutung zukommen.
Einstweilige Anordnungen, die im Zusammenhang mit einer isolierten Unterhaltsklage beantragt werden (§ 246 FamFG), werden von den meisten Vorprüfungsausschüssen bzw. Kammervorständen nicht doppelt gezählt.
Seit der Einführung der Fachanwaltschaft für Erbrecht gibt es mitunter Abgrenzungsfragen und Überschneidungsprobleme. Dabei gilt grundsätzlich, dass Teile eines Lehrgangs für ein Fachgebiet auch zum Nachweis der theoretischen Kenntnisse in einem anderen Gebiet herangezogen werden können. Entsprechendes gilt für Fortbildung i.S.v. § 15 FAO. Allerdings ist zu beachten, dass gem. § 15 Abs. 2 FAO die Gesamtdauer der Fortbildung "je Fachgebiet" 10 Zeitstunden nicht unterschreiten darf. Es ist also nicht möglich, durch eine einzige familienrechtliche und/oder erbrechtliche Fortbildungsveranstaltung die Fortbildung sowohl für den Fachanwalt für Familienrecht als auch die für den Fachanwalt für Erbrecht abzudecken.