Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung eines im Inland selbstständig tätigen polnischen Staatsangehörigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die VO EG 1408/71 gilt nicht für polnische Staatsangehörige, die als Gewerbetreibende nicht der Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung unterliegen, so dass deutsches Kindergeldrecht anzuwenden ist.
2. Freizügigkeitsberechtigte Ausländer haben einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sie gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben oder nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, wenn in ihrem Heimatstaat keine „Leistungen für Kinder” gezahlt werden, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind.
3. Übersteigt das Einkommen eines polnischen Selbständigen die Einkommensgrenze, nach der nach polnischem Recht ein Kindergeldanspruch nicht mehr besteht, ist bis zum Inkrafttreten des Art. 68 der VO EG 883/2004 am 1.5.2010 nach deutschem Recht Kindergeld zu gewähren.
Normenkette
EStG §§ 62-63, 32, 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 2-3; EGV 1408/71 Art. 2 Abs. 1; AO §§ 8-9; EGV 883/2004
Nachgehend
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2007 wird dahingehend geändert, dass die Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger Kindergeld in voller Höhe für seine Kinder A, B und C jeweils für die Zeiträume Februar 2007 bis August 2007 zu gewähren.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann die Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger – ein polnischer Staatsangehöriger, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat und als Beteiligter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine selbständige Tätigkeit ausübt – Anspruch auf Kindergeld hat.
Der Kläger war in Deutschland – jedenfalls im Streitzeitraum (Februar bis August 2007) – privat kranken – und rentenversichert (vgl. Bl. 129 ff. der Gerichtsakte).
Aufgrund eines Antrags der Ehefrau des Klägers auf Festsetzung von Familienleistungen vom 9. August 2005 hatten die polnischen Behörden festgestellt, dass der Kläger seit 7. März 2005 der „Koordinierung von Systemen der Sozialsicherheit” unterlegen hatte, weshalb in Polen gewährte Familienleistungen seit 1. April 2005 aufgehoben worden seien (vgl. Bl. 216 der Gerichtsakten). Jedenfalls für die Zeiträume September 2005 bis Januar 2007 bezog der Kläger ausweislich einer Bescheinigung der zuständigen polnischen Behörde (Bl. 209 der Gerichtsakten) keine Familienleistungen in Polen.
Mit Antrag vom 27. Juni 2006 (Bl. 2 der Kindergeldakte) beantragte der Kläger Kindergeld für die Kinder A (geb. 1989), B (geb. 1990) und C (geb. 1993).
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 16. Januar 2007 (Bl. 16 f. der Kindergeldakte) ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger in der Bundesrepublik weder über einen Wohnsitz verfüge noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.
Der hiergegen gerichtete Einspruch vom 23. Januar 2007 (Bl. 19 der Kindergeldakte) blieb ausweislich der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2007 (Bl. 64 ff. der Kindergeldakte) erfolglos.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 3. August 2007.
Die Beklagte hat an ihrer ursprünglich vertretenen Rechtsauffassung, nach der der Kläger weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe, im Klageverfahren nicht mehr festgehalten und der Klage – nach Teilrücknahme des Klägers, soweit die Zeiträume bis 31. August 2005 betroffen waren – für die Zeiträume bis einschließlich Januar 2007 abgeholfen.
Der Kläger trägt im Wesentlichen noch vor, er habe in Polen keinen Anspruch auf Familienleistungen. Da er seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, bestehe ein Anspruch auf Kindergeld für die Kinder A, B und C auch für den noch verbliebenen Streitzeitraum Februar bis August 2007.
Der Kläger beantragt daher noch sinngemäß,
ihm Kindergeld für die Kinder A, B und C für die Zeiträume Februar 2007 bis August 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte führt aus, es sei noch ungeklärt, ob in Polen ein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Eine Anfrage der polnischen Verbindungsstelle, die diese aufgrund eines – erneuten – Antrags der Ehefrau des Klägers vom 28. Oktober 2009 (vgl. Bl. 217 der Gerichtsakte) bei der zuständigen Familienkasse im Inland gestellt hatte, habe sie im H...