Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage bei Arbeitsüberlastung des FA; Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist durch Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung; Erfüllung der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG bei ausreichender Information des FA über erbschaftsteuerliche Relevanz eines Vorgangs durch andere Quellen. Erbschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidet das FA nicht in angemessener Frist über einen Einspruch und begründet es die Verzögerung mit einer allgemeinen, dem Sinne nach mit starker Arbeitsüberlastung begründeten Mitteilung, stellt dies keinen, die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage ausschließenden Grund i.S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO dar.
2. Die Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung muss innerhalb der Dreijahresfrist des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 erfolgen, um eine Anlaufhemmung bewirken zu können.
3. Lässt sich aus dem vom Nachlassgericht dem Erbschaftsteuer-FA übersandten, umfassende Ausführungen über das (Rechts-)Verhältnis zwischen Erblasser und Erben enthaltenden Erbschein und den weiteren zur Verfügung stehenden Unterlagen bei Erfüllung der dem FA obliegenden Sachaufklärungspflicht entnehmen, ob ein erbschaftsteuerbarer Vorgang vorliegt, kann die sich aus § 30 Abs. 1 ErbStG bestehenden Anzeigepflicht des Erben erfüllt sein. Die Anzeigepflicht i.S. des § 30 ErbStG 1991 verlangt nicht die Angabe des zuständigen Wohnsitzfinanzamts des Erblassers.
Normenkette
AO 1977 § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; FGO § 46 Abs. 1 S. 1; ErbStG 1974 § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1, § 35; AO 1977 § 88; ErbStG 1974 § 30 Abs. 4; AO 1977 § 170 Abs. 5 Nr. 1, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; ErbStG 1974 § 9 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
1. Der Erbschaftsteuerbescheid vom 15. April 1998 wird (ersatzlos) aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluß festgesetzten Erstattungsbetrags Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf … DM festgesetzt.
Tatbestand
Am … 1991 verstarb die am … 1905 geborene Mutter des Klägers –Kl– (im folgenden: die Erblasserin). Nach der „Mitteilung eines Sterbefalls” (Hinweis auf § 9 Abs. 1 der Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 19. Januar 1962 –ErbStDV a. F.–; sog. Sterbeanzeige: Verfügung der Oberfinanzdirektion –OFD-Stuttgart vom 21. Dezember 1990 S 3844 A-4-St 43 – Bl. 83-90 der FG-Akten) wohnte die Erblasserin zuletzt in …. Die Sterbeanzeige wurde vom Standesamt … dem Beklagten (dem Finanzamt –FA) als dem zuständigen ErbSt-FA, [demgemäß § 17 Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) und § 1 der Verordnung der Landesregierung zur Übertragung der Ermächtigung nach § 17 Abs. 2 FVG auf das Finanzministerium vom 4. Februar 1991 durch § 1 Nr. 1 der Verordnung des Finanzministeriums zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter vom 11. November 1997 die Verwaltung der Erbschaftsteuer u. a. für die Finanzämter … und … übertragen wurde] übersandt [und zwar in zweifacher Ausfertigung: Hinweis auf den Erlaß des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 21. März 1985 0 2144-8/81, ErbSt-Kartei der OFD'en Freiburg Karlsruhe Stuttgart (im folgenden: ErbSt-Kartei) Verwaltungsanweisungen Karte 2 N].
Die im vorliegenden Zusammenhang vom Finanzgericht (FG) durchgeführte Sachverhaltsaufklärung hat folgendes Ergebnis:
In … in der … befindet sich das Seniorenstift … Es handelt sich dabei um ein Altenpflegeheim, wohin die Erblasserin im Mai 1991 eingezogen ist. Grund hierfür war, daß die Erblasserin zuvor einen Oberschenkelhalsbruch erlitten hatte und auch im übrigen hinfällig war. Für die Besteuerung von natürlichen Personen, die in … ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist als Wohnsitzfinanzamt das Finanzamt … örtlich zuständig (Hinweis auf § 19 der Abgabenordnung –AO 1977–).
Ihre Wohnung an ihrem bisherigen Wohnort in … behielt die Erblasserin bei. Nach ihrem Einzug in das Altenpflegeheim in … kehrte die Erblasserin jedoch nicht mehr in ihre Wohnung in … zurück. In dem Gebäude … in … wohnt auch der Kl. Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen, die ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt in … haben, ist das Finanzamt … als Wohnsitzfinanzamt örtlich zuständig.
Die Erblasserin wurde für sämtliche Veranlagungszeiträume bis zu ihrem Todestag durch das Finanzamt … zur Einkommensteuer –ESt– veranlagt. Die Steuernummer der Erblasserin lautete … In der am 6. April 1993 für den Veranlagungszeitraum 1991 abgegebenen ESt-Erklärung wird bei den allgemeinen Angaben (Zeilen 2 bis 8 a.a.O.) angegeben, daß die Erblasserin am … 1991 verstorben und ihr Wohnort in … gewesen sei. In dem an das Finanzamt … gerichteten Schreiben des Prozeßbevollmächtig...