Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Steuerbefreiung selbstständiger Einkünfte als Erzieher bei Erbringung von Leistungen nach § 35 SGB VIII
Leitsatz (redaktionell)
1. Von einer „unmittelbaren” Förderung der Erziehung i. S. v. § 3 Nr. 11 EStG kann nicht gesprochen werden, wenn die Aufnahme des Kindes oder des Jugendlichen in den Haushalt der Pflegeperson auf Seiten der Pflegeperson als Erwerbstätigkeit anzusehen ist, wie es bei der Erbringung von Leistungen nach § 35 SGB VIII (intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung) der Fall ist.
2. Die Hilfe nach § 35 SGB VIII ist nicht vergleichbar mit der Hilfe zur Erziehung in der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII.
Normenkette
EStG §§ 18, 3 Nr. 11; SGB VIII §§ 33, 35
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die vom Kläger in den Streitjahren 2012 und 2013 erzielten Einkünfte aus selbständiger (freiberuflicher) Arbeit im Sinne von § 18 des Einkommensteuergesetzes – EStG – einkommensteuerpflichtig sind oder nicht.
Der 1953 geborene Kläger, von Beruf ausgebildeter Erzieher, war in den Streitjahren 2012 und 2013 alleinstehend und erzielte in seinem Privathaus in A… Einkünfte aus selbständiger (freiberuflicher) Arbeit aufgrund der ganztägigen Unterbringung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Die jüngste von ihm betreute Person war damals 11 Jahre alt. Der Kläger betreute stets nur eine Person, also nicht mehrere Kinder oder Jugendliche gleichzeitig.
Im Zeitraum 16. August 2010 bis Juli 2012 (= Eintritt der Volljährigkeit) betreute der Kläger ausschließlich den Jugendlichen B… und erhielt hierfür vom Verein C… ein monatliches Honorar in Höhe von durchschnittlich rund 3 600,00 EUR. Der Betreuung lag ein Vertrag vom 29. August 2010 (Bl. 78 R ff. d. A.) zugrunde, der u. a. folgenden Inhalt hat:
„Vertrag über Freie Mitarbeit”
§ 1 Tätigkeit
(1) |
Der Freie Mitarbeiter verpflichtet sich zur Übernahme der nachgenannten Tätigkeiten
- ambulante sowie stationäre Betreuung,
- mobile Betreuung im Milieu des Jugendlichen,
- individualpädagogische Projekte im In- und Ausland,
- Krisenintervention,
- betreutes Wohnen im Bereich der Verselbständigung der Jugendlichen,
- Stärkung und Förderung der Herkunftsfamilie zur Vermeidung von Fremd-
- unterbringung,
- sozialräumlich orientierte Konzepte,
- anderweitige Tätigkeiten
|
(2) |
Das pädagogische Konzept des Freien Mitarbeiters ist Bestandteil dieser Vereinbarung. |
(3) |
Der Freie Mitarbeiter ist daneben an die Regelungen der Heimaufsicht nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz gebunden. Er hat insbesondere bei häuslicher Betreuung dem Träger der Heimaufsicht jederzeit Zutritt zu gewähren. |
(4) |
Der Freie Mitarbeiter hat dem C… über seine Tätigkeit im Abstand von 1 Monat regelmäßig schriftlich Bericht zu erstatten, und darüber hinaus den C… bei auftretenden Problemen zu informieren. |
§ 2 Vertragsdauer
Dieser Vertrag beginnt mit dem 16.08.2010. Er kann jederzeit und ohne Einhaltung einer Frist mit sofortiger Wirkung geändert oder gekündigt werden. Es genügt eine mündliche Veränderungsmitteilung oder Kündigung von beiden Seiten aus.
§ 3 Tätigkeitsumfang
Der Freie Mitarbeiter übernimmt die Tätigkeit zunächst in einem Vollzeitumfang mit einem Betreuungsschlüssel von 1:1. Der genaue Tätigkeitsinhalt richtet sich nach dem tatsächlichen Betreuungsbedarf des Betreuten, der im gemeinsam beschlossenen Hilfeplan nach
§ 36 KJHG festgelegt wird und jederzeit angepasst werden kann.
§ 4 Honorar
(1) |
Der Freie Mitarbeiter erhält für die im Rahmen des vorgesehenen Tätigkeitsumfangs erbrachte Tätigkeit ein Honorar von 95,00 EUR pro Tag. |
(2) |
Das Honorar wird dem C… in Rechnung gestellt und von dem C… zum Monatsende beglichen. |
…
§ 5 Kostenübernahme
(1) |
In Betreuungsfällen anfallende Sachkosten sind mit dem C… abzusprechen. Nach Prüfung durch den C… werden die in Betreuungsfällen anfallenden abgesprochenen Sachkosten durch den C…erstattet. Die aktuelle Sachkostenpauschale ist in Anlage I zu diesem Vertrag aufgeführt. …” |
In der „Anlage I zum Vertrag über Freie Mitarbeit = Sachkostenvereinbarung” heisst es u. a.: „Im Rahmen der Betreuung und auf der Grundlage des Vertrages über freie Mitarbeit vom 29.08.2010 erhält der Freie Mitarbeiter eine tägliche Sachkostenpauschale in Höhe von insgesamt 27,00 EUR. …”
Nach dem Ende der Betreuung des Jugendlichen B… schloss sich in den Streitjahren bis September 2013 die Betreuung folgender weiterer Kinder bzw. Jugendlicher im Auftrag des Vereins C… nach den o. g. Vertragskonditionen an:
August 2012 bis April 2013: D…
Juni und Juli 2013: E…
September 2013: F… (nur für die Dauer von zehn Tagen)
Der Kläger machte seine Vergütungsansprüche gegenüber dem Verein C… durch monatliche Rechnungen geltend (Bl. 72 ff. d. A.), in denen es unter der Rubrik „Art und Umfang der Leistung” heißt: „Für die Betreuung im Rahmen einer stationären Jugendhilfemaßnahme nach § 35 SGB VII berechne ich …”.
Unter dem Datum „31.12.2012...