Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung nach Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Haftung nur wenn und soweit die zugrunde liegende Steuerschuld noch besteht
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einsetzung eines „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalters i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 HS 2 InsO führt nicht dazu, dass der GmbH-Geschäftsführer fortan von der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH i. S. v. § 34 Abs. 1 AO entbunden ist.
2. In einem solchen Fall muss der GmbH-Geschäftsführer zwecks Vermeidung einer Bestätigung der Rechtmäßigkeit seiner Haftungsinanspruchnahme nach § 69 AO durch das FG dem Gericht gegenüber darlegen und ggf. nachweisen, welche Schritte er zur Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet habe, deren Weiterverfolgung sich jedoch wegen der Haltung des vorläufigen Insolvenzverwalters als sinnlos dargestellt hätten.
3. Der Nachweis der Sinnlosigkeit ist geführt, wenn ein mit umfänglichen Vertretungsvollmachten (z. B. gegenüber Kreditinstituten) ausgestatteter maßgeblicher Mitarbeiter des vorläufigen Insolvenzverwalters durch sein Verhalten gegenüber dem Geschäftsführer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er zu einer Tilgung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten unter keinen Umständen seine Zustimmung erteilen werde und dass deshalb eine diesbezügliche individuelle Anfrage des Geschäftsführers an ihn von vorneherein sinnlos sei.
4. Ein Haftungsanspruch kann nur bestehen, wenn und soweit die betreffende Steuerschuld noch besteht. Geht der Steueranspruch durch Zahlung, Aufrechnung oder durch Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung endgültig unter, so erlischt auch der darauf beruhende Haftungsanspruch und das FA muss diese Umstände in seiner Einspruchsentscheidung anspruchsmindernd berücksichtigen.
Normenkette
InsO § 21 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO § 34 Abs. 1, § 69 S. 1, § 191 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 08.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.12.2015 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, es sei denn der Kläger leistet Sicherheit in derselben Höhe.
Beschluss:
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Der Kläger ist der Bruder und der alleinige Erbe des ursprünglichen Klägers, Herrn B., geboren am … 1954 und verstorben am … 2016 (siehe Sterbeurkunde 2016 und Erbschein 2017).
Die Prozessbeteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte Herrn B. als ehemaligen alleinigen Geschäftsführer einer C. GmbH mit Sitz in D… (künftig: GmbH) wegen rückständiger Lohnsteuer Februar 2013 nebst Solidaritätszuschlag sowie Säumniszuschlägen hierzu und Lohnkirchensteuern persönlich in Haftung nehmen konnte.
Die GmbH wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 25. August 1992 gegründet. Kurze Zeit später wurde ihr Sitz nach E. und einige Jahre später schließlich nach D. verlegt. B., von Beruf Kaufmann, übernahm zunächst einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 49 v. H. des anfänglichen Stammkapitals der Gesellschaft (400 000,00 DM) sowie das Amt des alleinigen Geschäftsführers. Satzungsmäßiger Unternehmenszweck war die Übernahme und Durchführung der Vertretung der H… Kraftfahrzeuge (Pkw und Lkw) in E… und später auch in F… sowie in G….
Durch mehrere Kapitalerhöhungen wurde das Stammkapital der GmbH in den folgenden Jahren auf insgesamt 2 900 000,00 EUR erhöht. In steuerlicher Hinsicht wurde die GmbH gegenüber dem Beklagten durch die jetzige Prozessbevollmächtigte vertreten.
Die GmbH beschäftigte rund 100 Arbeitnehmer.
Am 8. Februar 2013 ging beim Beklagten die elektronische Lohnsteueranmeldung betr. die GmbH für den Monat Februar 2013 ein. Angemeldet wurden folgende Beträge: LSt: 33 076,84 EUR; SolZ zur LSt: 1 524,75 EUR; ev. LKiSt: 184,82 EUR; r.k. LKiSt: 144,34 EUR. Die Beträge betreffen die Lohn- und Gehaltszahlungen für den Monat Januar 2013, die aufgrund einer Betriebsvereinbarung erst Anfang Februar 2013 vorgenommen wurden. Die angemeldeten Abgabenverbindlichkeiten wurden jedoch im Zeitpunkt ihrer gesetzlichen Fälligkeit am Montag, den 11. März 2013 und auch in der Folgezeit nicht entrichtet.
Nach wiederholter Kündigung von Kundendienst- und Teilevertriebsverträgen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten stellte die H… AG ab 16. Februar 2013 die Belieferung der GmbH mit Material ein, so dass die GmbH weitestgehend handlungsunfähig war. Außerdem nahm die H… AG die GmbH per 15. Februar 2013 vollständig aus ihrer EDV heraus.
Anfang 2013 machte die GmbH gegenüber dem Beklagten einen Umsatzsteuererstattungsanspruch in Höhe von rund 1,1 Mio. EUR geltend. Am 12. Februar 2013 fand ein Prüfungstermin mit der Umsatzsteuer-...