Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung einer Pfändungs- und Überweisungsanordnung wegen Vollsteckungsverbots infolge Masseunzulänglichkeit von Neumasseverbindlichkeiten. Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8. April 2003
Leitsatz (redaktionell)
Der Durchführung der Vollstreckung steht ein Vollstreckungsverbot nach § 209 Abs. 1 InsO auch entgegen, wenn hinsichtlich von Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO Masseunzulänglichkeit besteht.
Normenkette
AO 1977 § 251 Abs. 2; InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2, § 210
Tenor
Die Vollziehung der Einziehungs- und Pfändungsverfügung vom 8. April 2003 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer das finanzgerichtliche Verfahren 2 K 1843/03 abschließenden Entscheidung ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Antragsteller wurde durch Beschluss des Amtsgerichts L… vom 28. Juni 2002 (Aktenzeichen: 6. IN …/02) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der X. Bewehrungsbau GmbH, L…, bestellt. Auf der Grundlage des Sachstandsberichts zum Berichts- und Prüfungstermin vom 8. August 2002 zeigte der Antragsteller die Masseunzulänglichkeit (§ 208 Insolvenzordnung – InsO –) an. Das Insolvenzgericht veröffentlichte die entsprechende Anzeige am 13. August 2002. Im Oktober und November 2002 veräußerte der Antragsteller verschiedene Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen der X. Bewehrungsbau GmbH. Der Antragsteller erklärte insoweit Umsätze in Höhe von insgesamt EUR 29 741,– und eine hieraus resultierende Umsatzsteuerschuld in Höhe von EUR 3 987,18 (EUR 1 285,91 + EUR 2 701,27). Im Hinblick auf die freie Masse in Höhe von EUR 2 763,17 (EUR 22 729,34 [liquide Masse] ./. EUR 20 056,17 [Massekosten im Sinne des § 54 InsO]) beglich der Antragsteller die offenen Umsatzsteuern nicht. Im April 2003 schuldete der Antragsteller in diesem Zusammenhang einen Betrag in Höhe von insgesamt EUR 4 190,28 (einschließlich steuerliche Nebenleistungen und Kosten). Der Antragsgegner pfändete deshalb die Ansprüche des Antragstellers gegenüber der Baden-Württembergischen Bank AG in Höhe des rückständigen Betrags; auf die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8. April 2003 wird Bezug genommen. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies der Antragsgegner als unbegründet zurück.
Zur Begründung seiner Klage (Aktenzeichen: 2 K 1843/03), über die der Senat bislang nicht entschieden hat, und seines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung trägt der Antragsteller vor, der Pfändung durch den Antragsgegner stehe ein Vollstreckungsverbot nach § 210 InsO analog entgegen. Zwar unterlägen nach § 210 InsO die Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht dem Vollstreckungsverbot des § 210 InsO. Jedoch sei im Falle der Masseunzulänglichkeit innerhalb einer Rangklasse eine analoge Anwendung des § 210 InsO geboten. Denn gemäß § 209 Abs. 1 InsO bestünde nur ein quotaler Befriedigungsanspruch der Neumassegläubiger, wenn die Insolvenzmasse nicht zur Befriedigung ihrer Ansprüche ausreiche. Da jedoch lediglich ein Betrag in Höhe von EUR 2 763,17 zur Befriedigung der Neumassegläubiger zur Verfügung stünde, dürfe sich der Antragsgegner durch die Zwangsvollstreckung keine Vorzugsstellung verschaffen. Dies widerspreche dem Grundsatz der Gleichbehandlung innerhalb einer Rangklasse. Vielmehr müsse der Antragsgegner den Schlusstermin abwarten. Darüber hinaus belege auch die Bestimmung des § 208 Abs. 3 InsO das Vorliegen einer planwidrigen Lücke. Denn er, der Antragsteller, sei einerseits zur Verwertung der Insolvenzmasse verpflichtet. Andererseits könne aber das Insolvenzverfahren nach § 207 Abs. 1 InsO nicht eingestellt werden, wenn die Insolvenzmasse die Kosten des Verfahrens decke.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8. April 2003 bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung in dem finanzgerichtlichen Verfahren 2 K 1843/03 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist der Auffassung, nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 210 InsO bestehe ein Vollstreckungsverbot nur für Altmasseverbindlichkeiten. Dementsprechend liege eine planwidrige Lücke nicht vor.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag ist begründet. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – kann das Gericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn bei der (überschlägigen) Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vergleiche: Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 10. Februar 1967 – III B 9/66, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 87, 44...