Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsteuerbewertung: Begriff des bebauten Grundstücks – Unbenutzbarkeit des Gebäudes wegen Baumängel – Besonderes Aussetzungsinteresse bei verfassungsrechtlichen Zweifeln

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Rechtmäßigkeit der Einordnung eines Objektes als bebautes Grundstück bei der Feststellung des Grundsteuerwerts erscheint ernstlich zweifelhaft, wenn das aufstehende Gebäude nur durch völlige Entkernung zu beseitigende erhebliche Baumängel (massive Feuchtigkeitsschäden, nicht mehr funktionsfähige Elektro- und Wasserleitungen) aufweist, die dessen bestimmungsgemäßer Benutzbarkeit entgegenstehen.
  2. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen zur Feststellung des Grundsteuerwerts können nur bei Bestehen eines - gegenüber dem öffentlichen Interesse vorrangigen - besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigen.
  3. In dieser einschränkenden Auslegung des § 69 Abs. 3 FGO liegt keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich verbürgten Garantie des individuellen Rechtsschutzes (entgegen FG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 23.11.2023 4 V 1295/23, EFG 2024, 93 und 4 V 1429/23, EFG 2024, 135).
 

Normenkette

BewG § 246 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 247, 248 S. 1; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Grundsteuerwertbescheids mit der Begründung, das Objekt sei unter Berücksichtigung seines Istzustandes als Rohbau zu bewerten und der Gesetzgeber habe den tatsächlichen Wertverhältnissen mit der Neuregelung der Vorschriften zur Bewertung des Grundbesitzes für Zwecke der Grundsteuer nicht genügend Rechnung getragen.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Gewerbegrundstücks. Aufgrund eines Gesellschafterwechsels setze der Antragsgegner Grunderwerbsteuer i.H.v. 13.000 € fest. Im Übertragungsvertrag war der Wert der Immobilie mit 200.000 € angesetzt worden. Der Antragsgegner erließ im Schätzungswege einen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts und stellte diesen mit 884.067 € fest.

Nach Einreichung der Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts am 17.04.2023 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.05.2023 den Grundsteuerwert auf 836.000 € fest. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 17.05.2023 unter Hinweis darauf, dass die Grundsteuerbewertung vielfach erneut als verfassungswidrig angesehen werde, Einspruch ein und beantragte am 14.01.2024 die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids in Höhe eines Teilbetrags von 636.000 €. Der Antragsgegner hat bislang weder über den Aussetzungsantrag noch über den Einspruch entschieden.

Am 10.03.2024 hat die Antragstellerin einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertfeststellungsbescheids gestellt. Es werde an der Auffassung festgehalten, dass die Grundsteuerbewertung als verfassungswidrig anzusehen sei. Das zugrunde gelegte Verfahren zur Wertermittlung, das nur auf das Alter und die Lage des Objekts abstelle, werde nicht den Grundsätzen gerecht, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellt habe. Der Erhaltungszustand des jeweiligen Grundbesitzes, der erhebliche Bedeutung für dessen realen Wert habe, bleibe völlig außer Ansatz. Die Antragstellerin habe das Objekt am 10.08.2016 zu einem Kaufpreis von 350.000 € aus einer Insolvenzmasse heraus erworben. In der Folge habe sich herausgestellt, dass trotz diverser Instandhaltungsmaßnahmen nur kurzfristige Vermietungen möglich gewesen seien. Es lägen erhebliche Feuchtigkeitsschäden, marode Wasserleitungen sowie eine nicht mehr einsetzbare Elektrik vor. Das Objekt müsse demzufolge völlig entkernt werden. Darüber hinaus bedürfe es einer Erneuerung der Isolierung von Feuchtigkeitsschäden, insbesondere gegen aufsteigende Feuchtigkeit aus den Kellerwänden. Die Schäden hätten, soweit damals bekannt, Einfluss auf die Kaufpreisvereinbarung genommen. Später bekannt gewordene Schäden minderten den aktuellen Wert der Immobilie. Der Istzustand der Immobilie sei aus den beigefügten Fotos ersichtlich. Das Objekt sei unter Zugrundelegung seines Zustands im Rohbau zu bewerten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG habe die Bewertung von Immobilien nach tatsächlichen Wertverhältnissen zu erfolgen. Jedenfalls habe das BVerfG festgestellt, dass das Festhalten an den Werten des Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen führe. Dieser Rechtsprechung habe der Gesetzgeber mit der Novellierung keinesfalls Rechnung getragen. Der Antragsgegner habe den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts als Grundlagenbescheid für den Grunderwerbsteuerbescheid behandelt. Die beantragte Minderung des Grundsteuerwerts führe demzufolge auch zu der beabsichtigten Minderung der Grunderwerbsteuer.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Bescheids über die Feststellung des Grundsteuerwerts...

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