Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bei fehlender Zugrundelegung der Buchführung und Aufzeichnungen
Leitsatz (redaktionell)
- Ist die Sach- und Rechtslage nicht eindeutig, so ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren grundsätzlich nicht abschließend zu befinden.
- Dies gilt insbesondere, wenn das außergerichtliche Vorverfahren noch nicht abgeschlossen ist und die Finanzbehörde die ihr obliegende, erneute vollumfängliche Überprüfung der Sache noch nicht abgeschlossen hat.
- Eine Anteilskalkulation auf der Grundlage des gebuchten Wareneinkaufs für ein Halbjahr sowie des Getränkeanteils im Verhältnis zum erklärten Gesamtumsatz für drei Monate kann eine konkrete Nachkalkulation anhand der einzelnen Warengruppen und eine etwaige Geldverkehrsrechnung zur Bestätigung sich dabei ergebender Zuschätzungen nicht ersetzen.
- Umsatzzuschätzungen, deren Ergebnis ohne besondere Begründung die in den Richtsätzen für Gast- und Speisewirtschaften ausgewiesenen höchsten Reingewinnsätze um 100 % überschreitet, sind bei summarischer Prüfung als in sich unschlüssig einzuordnen.
- Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, die Nachkalkulation des Finanzamts durch eine eigene Schätzung zu ersetzen.
Normenkette
AO §§ 158, 162 Abs. 1, 2 S. 2, § 367 Abs. 2; FGO §§ 69, 96 Abs. 1 S. 1
Streitjahr(e)
1998, 1999, 2000, 2001
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsgegner berechtigt war, zu den bereits erklärten Einkünften aus Gewerbebetrieb weitere Einkünfte hinzuzuschätzen.
Der Antragsteller betrieb in den Streitjahren 1998 bis 2001 das italienische Restaurant „J” in „F-Stadt”. Er bot nicht nur Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle, sondern auch zur Mitnahme an. In den Streitjahren erzielte der Antragsteller gemäß seinen Einnahme-Überschuss-Rechnungen folgende Umsätze und Gewinne (Beträge in DM).
Jahr |
1998 |
1999 |
2000 |
2001 |
Umsatz |
447.946 |
441.538 |
381.446 |
394.729 |
Gewinn |
46.505 |
60.165 |
47.506 |
53.082 |
Im Rahmen einer beim Antragsteller durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 1998 bis 2001 beanstandete die Prüferin, dass der Antragsteller, der im Prüfungszeitraum eine elektronische Kellnerkasse der Firma Anker benutzt hatte, weder die Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) und weitere für den Tagesabschluss abgerufene Ausdrucke noch die zur Kasse gehörigen Organisationsunterlagen aufbewahrt hat. Er konnte lediglich sog. Spartenberichte vorlegen. Die Kasse selbst war nicht mehr vorhanden. Ferner fehlten nach Auffassung der Prüferin im Wareneinkauf des 1. Halbjahres 2000 einzelne notwendige Warenarten (Butter bzw. Margarine zur Herstellung von Kräuterbutter) oder sie waren nur in einer für Gaststätten unüblichen Menge (Schinken, Kaffee) erfasst worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Textziffern 2.2 und 2.3 des in den beigezogenen Steuerakten des Antragsgegners befindlichen Betriebsprüfungsberichts vom 09.02.2004 Bezug genommen.
Aufgrund dieser Feststellungen versagte die Betriebsprüferin die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und führte eine Anteilskalkulation auf der Grundlage des gebuchten Wareneinkaufs des 1. Halbjahrs 2000 sowie des Getränkeanteils im Verhältnis zum erklärten Gesamtumsatz für 3 Monate durch. Den hierbei ermittelten durchschnittlichen Nettoaufschlag für Getränke von 400 % wendete die Prüferin auf den Getränkewareneinsatz sämtlicher Streitjahre an, setzte sodann den Bruttoumsatz für Getränke an, der nach ihrer Auffassung – erkennbar aus den Spartenberichten – 25 % des Gesamtumsatzes ausmachte, und rechnete entsprechend die übrigen Umsätze auf 75 % hoch. Außerdem nahm sie zur Abdeckung von Unwägbarkeiten einen Abschlag von 10 % vor. Im Einzelnen ergaben sich folgende Hinzuschätzungen (Beträge in DM):
Jahr |
1998 |
1999 |
2000 |
2001 |
Hinzuschätzung |
485.000 |
510.000 |
310.000 |
235.000 |
Umsatzsteuer |
76.387 |
81.600 |
49.600 |
37.600 |
Gewinnerhöhung |
561.387 |
591.600 |
359.600 |
272.600 |
Der Antragsgegner schloss sich den Prüfungsfeststellungen vollumfänglich an und erließ entsprechend geänderte Feststellungs-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Streitjahre. Über die dagegen eingelegten Einsprüche hat der Antragsgegner bislang nicht entschieden.
Nachdem der Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide abgelehnt hat, begehrt der Antragsteller nunmehr vorläufigen Rechtsschutz durch das Gericht. Er ist der Auffassung, dass der Antragsgegner zu einer Schätzung nicht berechtigt gewesen sei. Die Tageseinnahmen seien durch eine elektronische Kasse älteren Typs erfasst worden. Dabei sei täglich ein Tagesabschluss durch einen Z-Bericht – hier in Form eines Spartenberichts – durchgeführt worden. Die Z-Berichte seien von der Kasse automatisch und unmanipulierbar durchnummeriert worden. Die Berichte seien nachträglich nicht veränderbar. Die Einnahmen der täglich mit Tagesdatum und fortlaufender, lückenloser Z-Nummer abgerufenen Z-Berichte seien in den Gewinnermittlungen erfasst ...