Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsgeld gegen nicht erschienenen Zeugen: Bemessung bei Fernbleiben zur Verhinderung der Sachaufklärung – Minderung bei Entbehrlichkeit der Beweiserhebung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Bemessung des gegen einen unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen festzusetzenden Ordnungsgeldes ist – vorbehaltlich seiner hinreichenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - vom oberen Bereich des gesetzlichen Rahmens (5 bis 1.000 EUR) auszugehen, wenn er dem Beweistermin mutwillig ferngeblieben ist, um die Aufklärung zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
2. Ist die Beweiserhebung wegen der – unabhängig von der Relevanz der Zeugenaussage – zwischenzeitlich eingetretenen Erledigung des Verfahrens nicht mehr notwendig, rechtfertigt dies lediglich die Reduzierung der Festsetzung vom oberen in den mittleren Bereich (hier: 500 EUR).
Normenkette
FGO § 82; ZPO § 380 Abs. 1 Sätze 1-2, § 381; EGStGB Art. 6 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
In dem Klageverfahren war streitig, wer ab dem 01.05.2019 Geschäftsführer der B GmbH (im Folgenden kurz B GmbH) war und wer infolgedessen als Haftungsschuldner für offene Steuerschulden in Betracht kommt. Mehrheitsgesellschafterin der B GmbH war im Streitzeitraum die C GmbH, deren Geschäftsführer der Zeuge Dr. A war.
Am 15.04.2019 fertigten die damaligen Gesellschafter der B GmbH einen Gesellschafterbeschluss, der u.a. folgende Passage enthielt:
„. 4. Herr Dr. A wird zum 01.05.2019 zum Geschäftsführer bestellt. Er ist einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Er ist intern für den Bereich Finanzen und Administration der Gesellschaft zuständig. Ab dem 01.07.2019 übernimmt er den Vorsitz der Geschäftsführung.“
Zu einer Eintragung des Dr. A im Handelsregister kam es nicht, weshalb lediglich der Kläger als (noch) im Handelsregister eingetragener Geschäftsführer vom Finanzamt in Haftung genommen wurde.
Dr. A ist mit Ladung vom 18.10.2022, zugestellt am 26.10.2022, zu dem für den 18.11.2022 anberaumten Verhandlungstermin als Zeuge geladen worden. Das Beweisthema wurde wie folgt angegeben: „ . Wer hat vom 01.05.2019 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Geschäfte der B GmbH geführt?“
Mit Schreiben vom 17.11.2022, Eingang per beA um 16:14 Uhr, ließ der Zeuge durch einen Rechtsanwalt mitteilen, dass er „. keine Angaben zur Sache“ machen könne und außerdem „ in einer dringenden notariellen Angelegenheit am 18.11.2022 verhindert“ sei. Weitere Angaben oder Anlagen enthielt das Schreiben nicht.
Zur mündlichen Verhandlung am 18.11.2022 erschien der Zeuge nicht.
Die Prozessbeteiligten erklärten übereinstimmend zu Protokoll, dass die Aussage des Zeugen Dr. A für sie von besonderer Wichtigkeit gewesen wäre, aus prozessökonomischen Gründen jedoch keine Vertagung gewünscht werde.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung beruht auf § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 380 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 380 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, die durch sein Nichterscheinen verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn nach § 82 FGO i. V. m. § 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. Das Gericht hat, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, die Ordnungsmittel auch dann festzusetzen, wenn das Verfahren abgeschlossen oder die Beweiserhebung nicht mehr notwendig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 01.06.1988 - X B 418, Bundessteuerblatt II 1988, 838).
Das Mindestmaß des Ordnungsgeldes beträgt 5 EUR, das Höchstmaß 1.000 EUR (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch - EGStGB -). Das Mindestmaß der Ordnungshaft beträgt einen Tag, das Höchstmaß sechs Wochen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EGStGB). Die Höhe des Ordnungsgeldes und der Ersatzordnungshaft bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen.
Der ordnungsgemäß geladene Zeuge Dr. A ist zum Termin am 18.11.2022 nicht erschienen, ohne dass er sein Ausbleiben genügend entschuldigt hat. Das Schreiben vom 17.11.2022 ändert daran schon deshalb nichts, weil der dort genannte Verhinderungsgrund - der angebliche Notartermin - weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht wurde. Zudem stellt eine Terminüberschneidung - selbst wenn der andere Termin (wofür nichts ersichtlich ist) schon vor Zugang der Ladung vereinbart worden wäre - nur bei Vorliegen besonderer Umstände einen Entschuldigungsgrund i.S.d. § 381 ZPO dar, da die Zeugnispflicht anderen privaten und beruflichen Pflichten regelmäßig vorgeht. Auch hängt die Pflicht zum Erscheinen nicht davon ab, ob der Zeuge glaubt, über das Beweisthema etwas zu wissen (BFH, Beschluss vom 09.07.2007 - I B 55/07, BStBl II 2009, 605). Weitere Angaben hat der Zeuge - auch im Nachgang zur mündlichen Verhandlung - nicht gemacht.
Bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes wurde berücksichtigt, dass es sich bei der Behauptung des Zeugen, „ keine Anga...