Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Gegenseitiger Anspruchsausschluss in zwei EU-Staaten - Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzvorschriften bei freiwillig versichertem Selbständigen
Leitsatz (redaktionell)
- Auf einen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen und freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Selbständigen, dessen Kinder bei der Mutter in Österreich leben, finden die gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzvorschriften für Ansprüche auf Familienleistungen keine Anwendung.
- Werden durch die gesetzlichen Vorschriften von 2 EU-Staaten die grundsätzlich bestehenden Ansprüche auf Familienleistungen jeweils unter Verweis auf die im anderen Mitgliedstaat bestehenden Ansprüche ausgeschlossen, ist die Begrenzung deutschen Kindergeldanspruchs auf die Hälfte in analoger Anwendung des Art. 7 Abs. 1 der VO (EWG) 574/72 nicht zu beanstanden.
- Hängt die Höhe des Kindergeldanspruchs von der höchstrichterlich weitgehend noch ungeklärten Anspruchskonkurrenz von Kindergeldansprüchen zwischen EU-Staaten ab, kann nur in Ausnahmefällen eine leichtfertige Steuerverkürzung anzunehmen sein.
Normenkette
EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b; VO (EWG) 1408/71 Art. 12; VO (EWG) 1408/71 Anhang I E Buchst. b; VO (EWG) 574/72 Art. 7 Abs. 1, Art. 10; AO § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 378
Streitjahr(e)
2000, 2001, 2002, 2003
Nachgehend
Tatbestand
Strittig ist die Kindergeldberechtigung des Klägers für seine Tochter „A” (geboren: 3.1.1994) und seinen Sohn „B” (geboren: 16.6.1997) für die Zeit von November 2000 bis Januar 2006.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, der in Deutschland als Handelsvertreter selbständig tätig ist.
Nach dem Rentenbescheid vom 26.3.2007 erhält er seit dem 1.2.2007 eine Regelaltersrente. Er hatte bis 1969 Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung der Angestellten und vom 1.1.1970 (Beginn seiner Tätigkeit als Handelsvertreter) bis 31.12.2005 freiwillige Beiträge gezahlt.
Seine Ehefrau - die Mutter der beiden Kinder - ist österreichische Staatsangehörige und lebt mit den beiden Kindern seit Oktober 2000 in Österreich. Seit Anfang des Jahres 2006 ist die Ehefrau in Österreich nichtselbständig tätig.
Der Kläger erhielt zunächst das Kindergeld für seine beiden Kinder.
Am 4.7.2007 teilte er der Beklagten telefonisch mit, dass seine Ehefrau und seine Kinder nach Österreich gezogen seien und dass seine Ehefrau dort seit Januar 2007 berufstätig sei.
Später legte er den Vordruck E 411 vor, in dem das Finanzamt „C” (Österreich) bescheinigte, dass die Ehefrau des Klägers ab dem 2.1.2006 bis heute eine berufliche Tätigkeit ausgeübt und für den gleichen Zeitraum Anspruch auf Familienleistungen für Familienangehörige habe.
In einem handschriftlichen Vermerk heißt es zusätzlich: „Ab 2.1.2006 ist die Gattin in Österreich beschäftigt. Die Kinder und die Gattin leben in Österreich; Österreich ist vorrangig zur Zahlung an Familienleistungen verpflichtet; Gewährung rückwirkend erfolgt nach Rückforderung i. d. BRD”.
Unter dem 10.6.2008 bat die Beklagte den Kläger um Übersendung von Nachweisen über die Höhe der Familienleistungen in Österreich ab November 2000. Sie wies darauf hin, dass Personen, die in Österreich ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hätten, Anspruch auf Familienleistungen für die in ihrem Haushalt lebenden Kinder besäßen. Insoweit sei die Erwerbstätigkeit der Ehefrau des Klägers ab 1.1.2006 irrelevant.
Der Kläger entgegnete hierauf, dass in Österreich von November 2000 bis jetzt kein Kindergeld bezogen worden sei.
Im Bescheid vom 9.7.2008 änderte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung wie folgt:
Für die Zeit von November 2000 - Dezember 2001: Je Kind EUR 69,02 pro Monat.
Für die Zeit von Januar 2002 - Januar 2006: Je Kind EUR 77 pro Monat.
Zur Begründung führte sie aus: Im vorliegenden Fall träfen die nationalen Ansprüche zweier Staaten aufeinander. Daher bestimme sich die Leistungspflicht nach den Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 und der VO 574/72. Nach den Angaben des Klägers sei er in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig, so dass er die Voraussetzungen des Anhanges I VO (EWG) 1408/71 nicht erfülle. Auch seine Ehefrau werde von der VO (EWG) 1408/71 nicht erfasst, da sie nicht berufstätig sei. Daher schließe der Anspruch auf Familienleistungen in Österreich nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG einen Kindergeldanspruch in Deutschland aus. Dieses Ergebnis sei jedoch mit Sinn und Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzvorschriften nicht vereinbar. Daher sei auf die allgemeine Konkurrenzvorschrift des Artikel 12 Abs. 2 VO (EWG) 1408/71 in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 1 VO 574/72 zurückzugreifen. Danach könne in Deutschland (nur) das hälftige Kindergeld gezahlt werden.
Dies betrage für die Zeit von November 2000 bis Dezember 2001 DM 135 (=EUR 69,02) je Kind und für die Zeit von Januar 2002 bis Januar 2006 EUR 77 je Kind. Damit ergebe sich ein Rückforderungsbetrag von EUR 9.340,65.
Hiergegen erhob der Kläg...