vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhaftung des vorläufigen Sachwalters mit Kassenführungsbefugnis im Schutzschirmverfahren – Verfügungsberechtigung i.S. des § 35 AO
Leitsatz (redaktionell)
Der vorläufige Sachwalter mit Kassenführungsbefugnis im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO kann nicht als Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO für Lohnsteuerverbindlichkeiten des Schuldners in Haftung genommen werden.
Normenkette
InsO § 270a Abs. 1 S. 2, § 270b Abs. 2 S. 1, § 270c S. 1, § 275 Abs. 2; AO § 34 Abs. 1, 3, §§ 35, 69 S. 1, § 191 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger als vorläufiger Sachwalter im Schutzschirmverfahren nach § 270b der Insolvenzordnung (InsO) für nicht abgeführte Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlag in Haftung genommen werden kann.
In 1988 wurde eine GmbH gegründet. ...
Alleiniger Geschäftsführer der GmbH war H.
Am 20.11.2014 meldete H für die GmbH für den Monat November 2014 bei dem Beklagten Lohnsteuern an und zahlte die Nettolöhne am 30.11.2014 in voller Höhe an die Arbeitnehmer aus.
Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit beantragte H am 01.12.2014 beim Amtsgericht als Insolvenzgericht (im Folgenden: AG) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH in Form des Schutzschirmverfahrens nach den §§ 270, 270b InsO sowie die Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter. In dem Antrag gab H unter anderem an, dass aufgrund der aktuellen Liquiditätsplanung die vorhandenen Zahlungsmittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Ende Januar 2015 nicht mehr ausreichen würden, um alle dann fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sowie die fälligen Lohnsteuern seien bis einschließlich 30.11.2014 vollständig abgeführt.
Am 01.12.2014 ordnete das AG zur Vorbereitung der Sanierung die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO an (Aktenzeichen ...) und bestellte den Kläger zum vorläufigen Sachwalter, der dieses Amt mit Schreiben vom 02.12.2014 annahm. Zugleich untersagte das AG Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung gegen die Schuldnerin, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen seien; bereits begonnene Maßnahmen wurden einstweilen eingestellt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO). Die Schuldnerin wurde ermächtigt, Verbindlichkeiten zu begründen, die im Falle einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit gelten zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes der Arbeitnehmer. Ein Zustimmungsvorbehalt war nicht angeordnet. Der Kläger war berechtigt, die Geschäftsräume und betrieblichen Einrichtungen der Schuldnerin einschließlich der Nebenräume zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Ferner war er berechtigt, Auskünfte über die schuldnerischen Vermögensverhältnisse bei Dritten einzuholen. Zugleich wurde er beauftragt, sachverständig zu prüfen, ob ein nach der Rechtsform der Schuldnerin maßgeblicher Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bestehen. Er hatte ferner zu prüfen, ob das schuldnerische Vermögen die Kosten des Verfahrens voraussichtlich decken wird.
Am 09.12.2014 zeigte der Kläger dem AG gemäß § 270a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 275 Abs. 2 InsO an, dass er mit Wirkung vom 09.12.2014 die Kassenführung an sich gezogen habe und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen ausschließlich über das von ihm zu diesem Zwecke eingerichtete Anderkonto zu realisieren seien. Am selben Tag überwies H das gesamte Bankguthaben der GmbH auf das vorgenannte Anderkonto.
Die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag wurde weder von H noch von dem Kläger entrichtet. Der Beklagte meldete den Gesamtbetrag zur Insolvenztabelle an. Die Steuerforderungen wurden zur Tabelle festgestellt.
Mit Schreiben vom 28.01.2015 zeigte H gemäß § 270 Abs. 4 Satz 2 InsO gegenüber dem AG den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH an. Am 01.03.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Die Schuldnerin war berechtigt, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 - 285 InsO). Der Kläger wurde zum Sachwalter ernannt.
Am 24.11.2015 stimmte die Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan vom 21.09.2015 zu, was das AG mit Beschluss vom 01.12.2015 bestätigte. Mit Beschluss vom 14.01.2016 hob das AG das Insolvenzverfahren auf. Entsprechend der Regelungen im vorgenannten Insolvenzplan wurde dem Beklagten eine Insolvenzquote von 2,39 % ausgezahlt, die auch später nicht an die Masse zurückgezahlt wurde.
Mit Schreiben vom 17.03.2016 hörte der Beklagte die Rechtsanwaltskammer gemäß § 191 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu einer möglichen Haftungsinanspruchnahme des Klägers an.
Mit Haftungsbescheid vom 21.04.2016 nahm der Beklagte den Kläg...