Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung von Steuerbescheiden
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Erfüllung der für eine öffentliche Zustellung vorauszusetzenden Prüfungspflicht der Behörde kann bei unbekanntem Aufenthaltsort des Stpfl. auch die Befragung von ehemaligen Hausgenossen, Angehörigen oder sonstigen Mittelspersonen gehören.
- Eine solche Nachfrage liegt ungeachtet der Erfolglosigkeit einer Anschriftsermittlung über das Einwohnermeldeamt auf der Hand, wenn bereits drei Jahre zuvor der Kontakt zu dem nach Spanien verzogenen Stpfl. über dessen im Inland wohnhafte Mutter hergestellt werden konnte.
- Die Ausschöpfung der sich anbietenden Ermittlungsmöglichkeiten ist jedenfalls dann nicht entbehrlich, wenn keine Anhaltspunkte für eine bewusst auf Verheimlichung des Aufenthaltsortes angelegte Handlungsweise des Zustellungsempfängers vorliegen.
Normenkette
VwVZG § 15; GG Art. 103 Abs. 1
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die öffentliche Zustellung der Steuerbescheide wirksam ist.
Der Kläger erzielte als Handelsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Nach Abmeldung des Gewerbes am 06. 01. 1999 richtete der Beklagte an ihn eine Anfrage zu Einzelheiten der Betriebseinstellung. Nachdem die Verfügung unter der Anschrift T-Straße in L-Stadt nicht bekannt gegeben werden konnte, versandte der Beklagte sie an die vom Postzusteller angegebene Anschrift Q-straße 01 in L-Stadt. Daraufhin meldete sich am 19. 02. 1999 die Mutter des Klägers telefonisch beim Beklagten und teilte mit, ihr Sohn halte sich im Ausland auf und sei dort noch auf Wohnungssuche; sie werde ihm das Schreiben weiterleiten. Am 27. 04. 1999 sandte der Kläger die beantwortete Verfügung an den Beklagten zurück und gab an, sein Wohnort befinde sich nunmehr in „Spanien, Mallorca”. In der am 20. 01. 2000 erstellten Einkommensteuererklärung 1998 teilte der Kläger als aktuelle Wohnanschrift „Q-straße 01 in L-Stadt” mit. Versuche des Beklagten, dem Kläger unter dieser Adresse den Umsatzsteuerbescheid 1994 und Anfragen zur Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1998 bekannt zu geben, schlugen indes fehl; die Postsendungen kamen jeweils mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt verzogen” oder „Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln” zurück. Am 22. 11. 2000 fertigte der Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle einen Aktenvermerk: „Lt. Vbz. ist Anschrift des Steuerpflichtigen nicht zu ermitteln. Die Mutter des VS hat den Kontakt zum Sohn abgebrochen, sodass von dort eine Auskunft nicht zu bekommen war”. Auf eine Anfrage vom 04. 09. 2002 an das Einwohnermeldeamt erhielt der Beklagte die Auskunft, dass der Kläger nach Spanien verzogen sei.
Am 15. 10. 2002 erließ der Beklagte eine Anordnung für eine abgekürzte Außenprüfung i. S. von § 203 der Abgabenordnung –AO-, die er öffentlich zustellte. Nach Abschluss der Prüfung erließ er am 09. 12. 2002 auf § 164 Abs. 2 bzw. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte Änderungsbescheide zur Einkommen- und Umsatzsteuer 1996 bis 1998; in den Anlagen zu den Bescheiden gab er an, welche Besteuerungsgrundlagen (z. B. „Telefon-Eigenverbrauch”, „Unsicherheitszuschlag”) er in welcher Höhe geändert hatte. Noch am gleichen Tag ordnete er die öffentliche Zustellung der Bescheide an.
Der Kläger reagierte auf die öffentlich zugestellten Bescheide vom 09. 12. 2002 nicht. Nach Erhalt eines Kontoauszuges vom 11. 11. 2004 machte er beim Beklagten schriftlich geltend, die den aufgeführten Steuerrückständen zugrunde liegenden Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1996 bis 1998 nicht zu kennen, und stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; nach mehrjährigem Aufenthalt in Spanien habe er sich am 12. 11. 2004 wieder in L-Stadt auf der Q-straße 00 angemeldet. Nach Hinweis des Beklagten mit Verfügung vom 29. 12. 2004 auf die öffentliche Zustellung der Bescheide wandte der Kläger am 12. 01. 2005 ein, für die Dauer des Auslandsaufenthaltes seine Mutter, wohnhaft Q-straße 01 in L-Stadt, zur Entgegennahme von Post und zur Erledigung aller sonstigen Angelegenheiten bevollmächtigt zu haben; hierzu legte er die Ablichtung einer auf den 26. 01. 1998 datierten „Vollmacht” vor. Der Beklagte lehnte den Wiedereinsetzungsantrag zunächst mit Bescheid vom 17. 01. 2005 ab, wertete indes mit Verfügung vom 06. 04. 2005 den vorangegangenen Schriftverkehr als Einsprüche gegen die Steuerbescheide, die er mit Einspruchsentscheidung vom 01. 06. 2005 als unzulässig verwarf. Die öffentlich zugestellten Bescheide seien bestandskräftig geworden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme gemäß § 110 Abs. 3 AO schon deshalb nicht in Betracht, weil seit Ende der versäumten Frist mehr als ein Jahr verstrichen sei.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Der Kläger macht geltend, den Wiedereinsetzungsantrag sogleich nach Kenntniserlangung von den Steuerbescheiden und damit rechtzeitig gestellt zu haben. Die Änderungsbescheide könne er inhaltlich nicht überprüfen. Er wisse nicht einmal, wa...