Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenvorstellung (Gehörsrüge, § 321a ZPO) und Wiedereinsetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Bezüglich der zweiwöchigen Frist für die Gegenvorstellung (Gehörsrüge) nach (§ 155 FGO i.V.m.) § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO wird bei Einhaltung der für die Verfassungsbeschwerde geltenden Monatsfrist des § 93 BVerfGG Wiedereinsetzung gewährt, weil die entsprechende Anwendung von § 321a ZPO ohne Belehrung noch nicht allen geläufig sein dürfte und weil auf diesem Weg Verfassungsbeschwerden erspart werden sollen.
2. Bei einer erfolgreichen Gegenvorstellung fallen keine besonderen Kosten an.
Normenkette
AO § 165; BVerfGG § 13 Nr. 8a, §§ 90, 93; EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5; FGO §§ 56, 79a Abs. 1 Nr. 5, § 138 Abs. 1, § 155; GG Art. 103 Abs. 1; GKG KV Nr. 1700 n.F., Nr. 1960 a.F.; RVG § 19 Abs. 1 Nr. 5; ZPO § 321a
Tatbestand
A. Nach der Klage wegen Einkommensteuer 1997-1999, und zwar hier wegen Werbungskosten aus mehr als zweijähriger doppelter Haushaltsführung, und nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2002, 2 BvR 400/98 und 2 BvR 1735/00 hat der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die angefochtenen Bescheide am 8. September 2003 im Hinblick auf die erwartete gesetzliche Neuregelung der doppelten Haushaltsführung für vorläufig erklärt.
Nachdem die so geänderten Bescheide Gegenstand des Klageverfahrens geworden waren, hat das FA am 8. Dezember 2003 auf Sachverhaltsunterschiede (hier bei beruflicher Abordnung nicht berufstätiger Ehefrau) gegenüber den vom BVerfG entschiedenen Fällen hingewiesen und die Klage im Hinblick auf die Vorläufigkeitsvermerke seinerseits für erledigt erklärt.
Durch Gesetz vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) wurde § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) dahin geändert, dass die steuerliche Befristung von Werbungskosten aus doppelter Haushaltsführung gestrichen wurde. Diese Änderung gilt gemäß § 52 Abs. 23d und Abs. 12 Satz 4 EStG auch rückwirkend für noch offene oder für vorläufig erklärte Veranlagungen.
Mit Schriftsatz vom 10. (eingegangen 11.) Juni 2004 hat auch der Kläger die Klage für erledigt erklärt.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2004 hat das Finanzgericht die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Klageverfahrens dem Kläger auferlegt. Der Beschluss enthielt die Belehrung über die Unanfechtbarkeit gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Unter dem 8. Juli 2004 erhebt der Kläger Gegenvorstellung wegen greifbarer Gesetzes- und Gehörverletzung und beantragt diesbezüglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unzutreffender Rechtsmittelbelehrung.
Entscheidungsgründe
B. Auf die zulässige und begründete Gegenvorstellung (Gehörsrüge) sind die Kosten des Rechtsstreits dem FA aufzuerlegen.
I. Die Gegenvorstellung (Gehörsrüge) entsprechend § 155 FGO i.V.m. § 321a Zivilprozessordnung (ZPO) ist zulässig.
Bezüglich der zweiwöchigen Frist nach § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO wird dem Kläger Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO gewährt, nachdem er nur über die kostenrechtliche Unanfechtbarkeit belehrt worden war (vgl. FG des Saarlandes vom 21. Januar 2004, 1 K 452/02, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2004, 578 zu 4 a.E.). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die neue entsprechende Anwendung von § 155 FGO i.V.m. 321a ZPO mit der Zwei-Wochen-Frist im Finanzprozess noch nicht allen Beteiligten und Prozessbevollmächtigten geläufig sein dürfte (seit BFH vom 5. Dezember 2002 IV B 190/02, BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269). Insbesondere ist zu beachten, dass auf diesem Weg Verfassungsbeschwerden gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Grundgesetz (GG), § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) erspart werden sollen, für die bekanntlich die Monatsfrist des § 93 BVerfGG gilt, binnen derer der vorliegende Antrag gestellt wurde. Auch die zweiwöchige Frist gemäß § 56 Abs. 2 FGO für den Wiedereinsetzungsantrag nach Fristversäumnis ist gewahrt.
II. Die Gegenvorstellung (Gehörsrüge) ist auch begründet.
1. Die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Klageverfahrens sind gemäß § 138 Abs. 1 FGO dem FA aufzuerlegen.
a) Seit der Gesetzesänderung steht fest, dass das Begehren des Klägers nach steuerlicher Anerkennung der mehr als zweijährigen doppelten Haushaltsführung begründet ist (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, § 52 Abs. 12 Satz 4, Abs. 23d EStG i.d.F. vom 15. 12. 2003, BGBl I 2003, 2645). Dabei kommt es nur noch auf die erfüllten gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der doppelten Haushaltsführung und nicht mehr darauf an, ob oder inwieweit der Sachverhalt im Fall des Klägers von den seinerzeit durch das BVerfG entschiedenen Fällen abweicht
b) Die vorherige Vorläufigkeitserklärung der angefochtenen Bescheide gemäß § 165 Abgabenordnung (AO) lässt den materiellen Klageerfolg nach der Gesetzesänderung unberührt. Falls noch nicht geschehen, wird das FA die Bescheide entsprechend zu ändern haben.
c) Davon abgesehen hätte der Kläger den Prozess auch trotz Vorläufigkeitserklärung der Bescheide mit Erfolg weiterführen können. Nach der Rechtsprechu...