Beschwerde eingelegt (BFH VII B 3/21)
Entscheidungsstichwort (Thema)
AdV: Haftung für Tabaksteuer nach § 71 AO
Leitsatz (amtlich)
1. Haftungsschuldner nach § 71 AO kann nicht der Steuerschuldner sein (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung unter Anschluss an BFH, Urteil vom 23.06.2020, VII R 56/18)
2. Es ist rechtlich zweifelhaft, ob einer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nach § 71 AO entgegensteht, dass nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Haftungsschuldner selbst Steuerschuldner ist.
Normenkette
TabStG § 23 Abs. 1; AO §§ 71, 191, 374; FGO § 69 Abs. 3
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer.
Ausgehend von Erkenntnissen, die im Rahmen eines gesondert geführten Ermittlungsverfahrens gegen den A wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei durch Beamte des Zollfahndungsamts ..., Dienstsitz B, gewonnen worden waren, geht der Antragsgegner davon aus, dass der Antragsteller in einem Telefonat mit A am 1. Oktober 2015 eine Menge von zehn Stangen à 200 Stück unversteuerte Zigaretten bei A bestellt, kurz nach dem 2. Oktober 2015 per Postpaket von A übersandt bekommen und anschließend weiterverkauft hat. Bei den Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren gegen A handelt es sich um die Telekommunikationsüberwachung der Mobilfunknummer des A, bei der u.a. Gespräche mit dem Nutzer der auf den Antragsteller registrierten Mobilfunknummer aufgezeichnet wurden, um einen bei einer Durchsuchung am 8. Dezember 2015 bei A sichergestellten handschriftlichen Notizzettel, auf dem neben anderen Namen und Zahlen "10 C" notiert ist, und um eine auf dem sichergestellten Mobilfunkgerät des A vorhandene Fotodatei vom 5. Oktober 2015, auf dem eine Quittung des Paketdienstleisters D mit handschriftlichem Zusatz "E" abgebildet ist.
Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts B vom ... 2019 (...) wurde A wegen Steuerhehlerei gemäß § 347 Abs. 1, Abs. 2 AO in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. In den Gründen des Strafurteils ist u.a. ausgeführt, dass der A von den gesondert Verfolgten F und G sowie weiteren unbekannt gebliebenen Dritten unversteuerte und unverzollte Zigaretten verschiedener, teils unbekannter Marken, welche zuvor in Kenntnis des A vorschriftswidrig unter Umgehung der fälligen Eingangsabgaben und Verbrauchsteuern in das deutsche Zollgebiet verbracht worden waren, erwarb, um sich durch die gewinnbringende Veräußerung der Zigaretten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen. Unter Fall 30 ist in den Gründen des Strafurteils ausgeführt, dass A am 2. Oktober 2015 an den gesondert Verfolgten E in H 2.000 Stück Zigaretten einer unbekannt gebliebenen Marke, die als "5 Gläser Rotwurst und 5 Gläser Leberwurst" bezeichnet wurden, auf dem Postweg versandte.
Vor diesem Hintergrund erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 12. Oktober 2020 in Höhe von 309,60 EUR (XXX-1), der Gegenstand des vorliegenden Antragsverfahrens ist, und einen Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 12. Oktober 2020 in Höhe von 90,00 EUR (XXX-2), der Gegenstand des Antragsverfahrens 4 V 119/20 ist.
Gegen den Haftungsbescheid über Tabaksteuer und gegen den Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen legte der Antragsteller am 19. Oktober 2020 jeweils Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.
Mit Bescheiden vom 2. November 2020 lehnte der Antragsgegner die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung jeweils ab. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides über Tabaksteuer bzw. des Haftungsbescheides über Hinterziehungszinsen seien jeweils nicht gegeben. Die Zigaretten seien in unzulässiger Weise ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen entweder aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder aus einem Drittland eingeführt worden. Mit dem Verbringen bzw. der Einfuhr sei die Tabaksteuer entstanden. Steuerschuldner sei, wer nach den Zollvorschriften verpflichtet gewesen sei, die Tabakwaren anzumelden bzw. jede andere an der unrechtmäßigen Einfuhr beteiligte Person (§ 21 Abs. 2 Satz 1 TabStG) bzw. im Fall der Verbringung, wer die Lieferung vorgenommen oder die Tabakwaren in Besitz gehalten habe, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG). Das am 1. Oktober 2015 überwachte Gespräch zwischen dem Anschlussinhaber der auf den Antragsteller zugelassenen Mobilfunknummer und dem A bringe die Erkenntnis, dass der Antragsteller unter Verwendung von Synonymen jeweils fünf Stangen à 200 Stück Zigaretten von zwei unterschiedlichen Marken bestellt habe. Aus weiteren geführten Gesprächen des A gehe hervor, dass dem Antragsteller eine Sendungsverfolgungsnummer geschickt worden sei und dass bereits das Geld überwiesen worden sei. Ferner seien während der Durchsuchung bei A eine Notiz mit "C 10", was mit der Bestellung von jeweils fünf S...