Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsschutzkontrollgesetz - Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft: Eilantrag gegen das Fremdpersonaleinsatzverbot in der Fleischwirtschaft - Modifizierung der Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Antragstellerin die Feststellung begehrt, dass sie nicht als Betrieb der Fleischwirtschaft dem Beschäftigungsverbot nach dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) unterfällt (entgegen FG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2021, 1 K 382/21).

2. Die Anwendung des Überwiegensprinzips nach § 6 Abs. 9 AEntG setzt voraus, dass es sich bei dem jeweils in Rede stehenden Betrieb um einen Mischbetrieb handelt. Handelt es sich dagegen bei dem zu beurteilenden Betrieb um keinen Mischbetrieb, richtet sich die Prüfung, ob dieser Betrieb einer Branche im Sinne des § 6 AEntG zuzuordnen ist, nicht nach dem Überwiegensprinzip; vielmehr unterfällt ein solcher Betrieb ohne Überwiegensprüfung kraft des von ihm verfolgten alleinigen Geschäftszweckes der im Katalog des AEntG aufgeführten Branche (Modifizierung der Rechtsprechung).

3. Ein Betrieb ist als Mischbetrieb einzuordnen, wenn er mehrere Geschäftszwecke, d.h. mehrere konkrete eigenständige Tätigkeitsbereiche verfolgt.

4. Die Herstellung von Nahrungsmitteln aus Fleisch sowie deren unmittelbare Portionierung und Verpackung ist als eine betriebliche Betätigung anzusehen, die dem Geschäftszweck der Fleischverarbeitung im Sinne des § 6 Abs. 9 Satz 2 AEntG unterfällt.

5. Bei der Lagerung, Kommissionierung und dem Versand der Produkte handelt es sich hierbei um sog. Zusammenhangstätigkeiten, die der eigentlichen Haupttätigkeit -- scil. der Herstellung von Nahrungsmitteln aus Fleisch -- dienen, zu ihrer sachgerechten Ausführung notwendig sind und nach der Verkehrssitte üblicherweise von den Produzenten miterledigt werden.

6. Nicht alle Tätigkeitsbereiche eines Betriebes der Fleischwirtschaft unterfallen dem Fremdpersonaleinsatzverbot des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch; einem Betrieb der Fleischwirtschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 GSA Fleisch ist es nicht generell aufgrund von § 6a Abs. 2 GSA Fleisch untersagt, Fremdpersonal einzusetzen.

7. Die Vorschrift des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch und das dort normierte Fremdpersonaleinsatzverbot ist funktional zu verstehen.

 

Normenkette

GSA Fleisch § 2 Abs. 1, § 6a Abs. 2; AEntG § 6 Abs. 9; FGO § 114

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die einstweilige Feststellung, dass sie nicht als Betrieb der Fleischwirtschaft dem Beschäftigungsverbot nach dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) unterfällt.

An ihrem Standort in A produziert die Antragstellerin Land- und Bauernschinken, X-Schinken sowie Y-Edelschinken, wobei das jeweilige Schinkenprodukt bereits fertiggestellt angeliefert und am Standort lediglich portioniert, etikettiert und verpackt wird. Zu unterscheiden ist zwischen sog. Bedienware, SB-Ware und SV-Ware. Bedienware bezeichnet ganze oder halbierte Rohschinken mit einem Gewicht von 2 bis 10 kg, die überwiegend für die Wurst- bzw. Fleischtheke im Lebensmitteleinzelhandel hergestellt werden. Bei der SB-Ware handelt es sich um Rohschinken-Stücke mit einem Gewicht von 300 g bis 2 kg, die vor allem für die Selbstbedienungsbereiche im Lebensmitteleinzel- und -großhandel produziert werden. Als SV-Ware werden Artikel mit einem Gewicht von 65 bis 1.000 g genannt, die insbesondere für den Selbstbedienungsbereich (Servierschnitt) im Lebensmitteleinzel- und -großhandel hergestellt werden.

Die Antragstellerin beschäftigte an ihrem Standort in A im Jahr 2020 insgesamt etwa durchschnittlich 358 Mitarbeiter, darin enthalten ein Anteil von Werksvertragsarbeitern, die ca. 20% der Gesamtarbeitszeit erbrachten.

Der Produktionsprozess beginnt mit der Warenannahme. Die für die SB-Ware und die Bedienware benötigten Wurst- und Schinkenrohlinge bzw. die bereits fertigen Bedienwarenartikel werden nach der Anlieferung in ein Zwischenlager verbracht, wo sie bei Bedarf über einen gewissen Zeitraum nachreifen. Die für die SV-Ware erforderlichen Rohlingen werden nach ihrer Anlieferung zunächst im Hochregallager gelagert. Bevor die Rohlinge im sog. High-Care-Bereich portioniert bzw. aufgeschnitten werden, werden diese in die Tiefkühlung verbracht, wo sie angefrostet oder nachgeformt werden. Im nachfolgenden High-Care-Bereich werden die für die SB-Ware verwandten Rohlinge, die in Behältern aus dem Zwischenlager bereitgestellt werden, von Mitarbeitern auf das Band der Schneide- und Verpackungslinie gelegt und automatisch in die Schneidevorrichtung transportiert, wo sie maschinell in Stücke geschnitten werden. Anschließend erfolgt eine Kontrolle des Gewichts, bevor die geschnittenen Stücke in vorgeformte Schalen gelegt und von oben mit einer bedruckten Folie verschlossen werden. Nachfolgend gelangen die verpackten Schinkenstücke auf einem Transportband in den räumlich durch eine Wand vo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge