Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung wegen neuer Tatsachen bei Verletzung der Ermittlungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1) Ist dem Finanzamt aus den gleichzeitig eingereichten Steuererklärungen von zwei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen bekannt, dass der Steuerpflichtige - seiner Meinung nach - eine ermäßigt zu versteuernde Entschädigung im Erstjahr und von demselben Arbeitgeber ein Jubiläumsgeld im Zweitjahr erhalten hat, obwohl der Steuerpflichtige im Zweitjahr erkennbar arbeitslos war, müssen sich dem Finanzamt im Hinblick auf die Zusammenballung der Einkünfte weitere Ermittlungen aufdrängen.
2) Unterlässt das Finanzamt weitere Ermittlungen, dann ist es nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert, die ihm später bekannt gewordene fehlende Zusammenballung der Einkünfte im Steuerbescheid durch Wegfall der ermäßigten Besteuerung zu ändern, wenn der Steuerpflichtige die von den Erklärungsvordrucken abgefragten Sachverhaltsangaben wahrheitsgemäß gemacht hat und ihm auch aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles keine gravierende Verletzung seiner Mitwirkungspflicht vorzuwerfen ist.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Sätze 1, 1 Nr. 1, § 88; EStG § 34 Abs. 1-2, 2 Nr. 2, § 24 Nrn. 1, 1a; AO 1977 § 173 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1993 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Jahre 1993 als technischer Angestellter bei der Firma A. nichtselbständig tätig. Mit Aufhebungsvertrag vom 16.3.1993 wurde das Beschäftigungsverhältnis, das im November 1969 begonnen hatte, auf Veranlassung des Arbeitgebers mit Ablauf des 31.12.1993 beendet. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt der Kläger eine am 31.12.1993 fällige Abfindung in Höhe von 120.000 DM. Gemäß Nr. 5. des Aufhebungsvertrages vom 16.3. 1993 sollte der Kläger außerdem zum 1.11.1994 die bei 25-jähriger Betriebszugehörigkeit übliche Jubiläumszuwendung in Höhe eines Bruttogehaltes von 6.389 DM zuzüglich DM 100 außertarifliche Zulage zuzüglich eines Geldgeschenkes von 600 DM erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Aufhebungsvereinbarung wird auf den o. g. Vertrag verwiesen.
Der Abfindungsbetrag wurde vereinbarungsgemäß in Höhe von 120.000 DM im Jahre 1993 ausgezahlt. Im November 1994 wurde dem Kläger eine „Jubiläumszuwendung” in Höhe von 5.290 DM von seinem ehemaligen Arbeitgeber gewährt, obwohl er die 25-jährige Betriebszugehörigkeit zum Zeitpunkt seines vorzeitigen Ausscheidens noch nicht erreicht hatte.
Die Kläger reichten die Steuererklärungen für das Streitjahr 1993 sowie für den Veranlagungszeitraum 1994 gleichzeitig am 1.3.1995 beim Beklagten ein. In der Einkommensteuererklärung für 1993 gaben die Kläger nach Abzug eines steuerfreien Anteils von 30.000 DM die Abfindungszahlung in der Vordruckzeile „Entschädigungen, die ermäßigt zu besteuern sind” mit 90.000 DM an. Mit Ausnahme der Lohnsteuerkarte fügten die Kläger der Erklärung zu diesem Vorgang keine weiteren Unterlagen bei. Die Lohnsteuerkarte für 1993 wies ebenfalls als „Ermäßigt besteuerte Entschädigungen” einen Betrag von 90.000 DM aus.
In der Steuererklärung für 1994 gaben die Kläger in der Anlage N. in der Vordruckzeile „Arbeitslohn und Versorgungsbezüge für mehrere Jahre – Arbeitslohn” einen Betrag in Höhe von 5.290 DM an. Im übrigen enthielt die Anlage N. für den Kläger im wesentlichen lediglich die Angabe, dass er Lohnersatzleistungen in Höhe von 30.079 DM erhalten hat und vom 1.1. bis 31.12. arbeitslos war. Die beigefügte Lohnsteuerkarte für das Jahr 1994 weist für den November 1994 unter der Rubrik „Arbeitslohn für mehrere Kalenderjahre” mit dem handschriftlichen Zusatz „Jubiliäumsgeld” einen Betrag in Höhe von 5.290 DM aus. Als Aussteller der Lohnsteuerkarte sind die A. ausgewiesen.
Die Veranlagung für das Streitjahr 1993 wurde mit Bescheid vom 16.5.1995 antragsgemäß vorgenommen. Ein Vorbehalt der Nachprüfung wurde in dem Bescheid nicht aufgenommen. Nach einer Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamtes B. beim ehemaligen Arbeitgeber des Klägers kam der Beklagte zu der Auffassung, dass die Entschädigung wegen des in 1994 gezahlten Jubiläumsgeldes nicht habe ermäßigt besteuert werden dürfen, weil es an der erforderlichen „Zusammenballung” der Einkünfte fehle. Der Einkommensteuerbescheid 1993 wurde gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO am 29.12.1997 entsprechend geändert. Für den nach Abzug des steuerfreien Teils (§ 3 Nr. 9 EStG) verbleibenden Abfindungsbetrag in Höhe von 90.000 DM wurde keine Steuerermäßigung mehr gewährt.
Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch machten die Kläger geltend, der Beklagte sei nicht zu einer Änderung des Bescheides wegen neuer Tatsachen berechtigt gewesen. Aufgrund der Angaben in den Steuererklärungen 1993 und 1994 seien dem Beklagten alle Tatsachen bekannt gewesen, so daß abschließend übe...