Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbschaft- und Schenkungsteuer: rückwirkende Anwendung der durch das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (ErbStAnpG 2016) geänderten Regelungen der §§ 13a, 13b ErbSt ab dem 1.7.2016 nicht verfassungswidrig. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: II R 7/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Erbschaftsteuer ist ab dem 1.7.2016 keine Steuerpause unter dem Gesichtspunkt eingetreten, dass es der Gesetzgeber nicht geschafft hat, das ErbStAnpG 2016 rechtzeitig zu verabschieden. Die im ErbStAnpG 2016 angeordnete echte Rückwirkung in Bezug auf die neugefassten, verschärften Regelungen zum Übergang von Betriebsvermögen in § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (im Streitfall: Besteuerung einer am 24.7.2016 erfolgten Schenkung von Betriebsvermögen nach den §§ 13a, 13b ErbStG in der Fassung des ErbStAnpG 2016).
2. Bereits der Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 24.6.2016 hat zu einer Zerstörung des Vertrauens auf das Fortbestehen der alten Rechtslage geführt; allen Steuerpflichtigen musste seit dem 24.6.2016 klar sein, dass es Ziel des Gesetzgebers war, das ErbStAnpG 2016 zum 1.7.2016 einzuführen.
3. Die im Urteil des BVerfG, Urteil v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, enthaltene Fortgeltungsanordnung ist in dem Sinne auszulegen, dass das verfassungswidrige ErbStG 2009 über den 30.6.2016 hinaus bis zu einer tatsächlichen Neuregelung anzuwenden ist (Anschluss an BFH, Urteil v. 6.5.2021, II R 1/19, BStBl 2022 II S. 77; gegen FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 19.5.202, 14 K 14008/19, EFG 2021 S. 1486).
4. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, für die Zeit vom 1.7.2016 bist zur Verkündung des ErbStAnpG 2016 ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen dahingehend zu ermöglichen, dass er entscheiden können sollte, ob seine Steuerfestsetzung nach dem alten oder nach dem neuen Recht zu erfolgen hat.
Normenkette
ErbStG 2016 § 9 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 13b Abs. 4, 10, § 13a Abs. 4, § 37 Abs. 12 S. 1; BewG § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; ErbStAnpG 2016 Art. 3; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Die außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu 1.), 2.) und 3.) werden nicht erstattet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG), der Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel, der jungen Finanzmittel, des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), des jungen Verwaltungsvermögens und der Schulden (§ 13b Abs. 10 ErbStG), der Anzahl der Beschäftigten und der Ausgangslohnsumme nach § 13a Abs. 4 ErbStG (im Folgendem Feststellungsbescheid).
Am 24. Juli 2016 übertrug Herr X seine Beteiligung i.H.v. … % an der Y GmbH & Co. KG auf seinen Sohn, Herrn Z. Zum Betriebsvermögen der o.g. Gesellschaft gehörte u.a. eine Beteiligung i.H.v. … % an der Klägerin. Für Zwecke der Durchführung der Schenkungsteuerveranlagung war für Letztere eine Wertfeststellung zum Stichtag des 24. Juli 2016 durchzuführen.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, eine Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts abzugeben. Unter dem Datum des 5. Juni 2019 reichte die Klägerin als Erklärungspflichtiger nach § 153 BewG eine Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts beim Beklagten ein. Die Erklärung bestand aus zwei Ausfertigungen, eine Ausfertigung betraf die bis zum 30. Juni 2016 geltende Rechtslage und die andere wurde unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 (BGBl. I 2016, 2464; im Folgenden ErbStAnpG 2016) erstellt. In dem Begleitschreiben beantragte die jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass der Beklagte bei der Veranlagung die bis zum 30. Juni 2016 geltende Rechtslage anwendet.
Mit Feststellungsbescheid vom 17. September 2019 stellte der Beklagte die jeweiligen Werte erklärungsgemäß fest, wobei er dem Feststellungsbescheid die nach dem ErbStAnpG 2016 ab dem 1. Juli 2016 geltende Rechtslage zugrunde legte. Der Feststellungsbescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Neben der Klägerin erhielten auch Herr Z sowie die Y GmbH & Co. KG gleichlautende Feststellungsbescheide.
Dagegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2019 Einspruch beim Beklagten ein. Der Einspruch richtete sich seinem Wortlaut nach gegen den Feststellungsbescheid über den Wert des Anteils an der Klägerin.
In der Zeit vom 20. April 2020 bis 27. November 2020 fand anlässlich des klagegegenständlichen Feststellungsbescheids e...