Entscheidungsstichwort (Thema)
Kursverluste aus dem Rückkauf fondsgebundener Lebensversicherungen keine Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a. F.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Verlust aus dem vorzeitigen Rückkauf einer vor dem 1.1.2005 abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherung ist nach der – für vor dem 1.1.2005 abgeschlossene Altverträge weiter anwendbaren – Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung nicht einkommensteuerbar. § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 5 i. V. m. S. 1 EStG in der vor 1.1.2005 gültigen Fassung erfasst nur die Erträge aus den Wertpapieren des Anlagestocks (Dividenden, Zinsen, Boni etc.), nicht aber Wertsteigerungen oder Wertminderungen; Wertminderungen des Anlagestocks bzw. Deckungsstocks sind daher keine negativen Kapitalerträge.
2. Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 EStG, und damit auch i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 5 EStG, sind alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Wertveränderungen der Kapitalanlage werden nach der vor Einführung der sog. Abgeltungsteuer geltenden Rechtslage (im Streitfall: Streitjahr 2008) bei den Einkünften aus Kapitalvermögen grundsätzlich nicht berücksichtigt.
Normenkette
EStG 2002 § 20 Abs. 1 Nr. 6 Sätze 1, 5; EStG 2005 § 52 Abs. 36 S. 5; EStG 2016 § 52 Abs. 28 S. 5
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger schloss im Dezember 2004 zwei fondsgebundene Lebensversicherungen bei der ABC Versicherung AG in X – später: XY (Liechtenstein) AG – (Versicherung), Police Nrn. … und …, jeweils mit einem Versicherungsbeginn am 1. Dezember 2004, einer Laufzeit von 35 Jahren, einer Prämienzahlungsdauer von fünf Jahren, laufenden Prämien von 60.000 EUR, einer Prämiensumme von 300.000 EUR und einer Versicherungssumme nach Ende des dritten Versicherungsjahres von 180.000 EUR ab. Nach § 5 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Fondsgebundene Lebensversicherung (Versicherungsbedingungen) erwarb die Versicherung Wertpapiere und führte diese dem Deckungsstock des Klägers zu, soweit die Prämie nicht zur Deckung der Kosten bestimmt war; dieser bildete die Deckungsrückstellung (Versicherungsdepotwert abzüglich noch offener Provisionsforderungen). Da die Entwicklung der Werte des Deckungsstocks nicht vorauszusehen war, konnte die Versicherung keine Werte garantieren (§ 5 Abs. 4 der Versicherungsbedingungen). Die Versicherung war während der Vertragsdauer an der Wertentwicklung eines Sondervermögens (Deckungsstock) beteiligt; ihr Deckungsstock wurde gesondert vom übrigen Vermögen in Wertpapieren oder Anlagefonds angelegt (§ 9 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen). Nach § 8 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 der Versicherungsbedingungen erhielt der Kläger nach vollständiger Kündigung – soweit vorhanden – den Rückkaufswert; dieser entsprach dem Geldwert der Deckungsrückstellung, errechnet mit dem Rücknahmepreis zum Kündigungstermin, ggf. vermindert um einen Abschlag in Prozent (noch offene Provisionsforderungen); eine Übertragung der Wertpapiere war möglich.
Am 18. November 2008 kündigte der Kläger die Lebensversicherungen. Die Versicherung zahlte dem Kläger im Streitjahr 2008 jeweils einen Rückkaufswert – berechnet zum 30. November 2008 – in Höhe von 77.027,20 EUR aus. Bis zur Beendigung der Versicherungen hatte der Kläger Prämien in Höhe von jeweils 195.000 EUR geleistet. Die Summe aller Kosten (Abschluss-, Verwaltungs- und Risikokosten) betrug bis dahin jeweils 2.815,57 EUR.
Bei seiner Einkommensteuererklärung für 2008 erklärte der Kläger zunächst die Unterschiedsbeträge zwischen den geleisteten Prämien und den Rückkaufswerten in Höhe von jeweils 117.972,80 EUR bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen als negative Einnahmen aus Lebensversicherungen. Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) berücksichtigte diese bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2008 mit Bescheid vom 6. Oktober 2009 nicht. Den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers, mit dem er nurmehr die von der Versicherung in ihren Schreiben vom jeweils 20. April 2015 als rechnungs- und außerrechnungsmäßige Zinsen ausgewiesenen Beträge in Höhe von -115.157,23 EUR (= 77.027,20 EUR Rückkaufswert abzgl. 195.000 EUR Prämien zzgl. 2.815,57 EUR Kosten) geltend machte, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2015 als unbegründet zurück. Es handele sich um nicht als Werbungskosten zu berücksichtigende Verluste in der privaten Vermögenssphäre. Während des Einspruchsverfahrens hatte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2008 mit Bescheiden vom 14. Mai 2010 und vom 17. September 2013 geändert; die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs waren hiervon unberührt geblieben.
Mit seiner Klage bringt der Kläger im Wesentlichen vor, das Gesetz unterscheide bei der Besteuerung der „rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen” nicht zwischen positiven und negativen Erträgen, obwohl ...