Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Arbeitsverhältnis von Prostituierten mit dem Betreiber eines bordellähnlichen Betriebs bei Vereinnahmung des Dirnenlohns auf eigene Rechung und Abführung lediglich einer festen täglichen Zimmermiete an den Betriebsinhaber
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rechtsprechung, wonach die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbstständig oder nichtselbstständig ausübt, anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale (z. B. persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch usw.) nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen ist, gilt auch für in einem bordellähnlichen Betrieb arbeitende Prostituierte.
2. Die fehlende Vereinbarung einer Entgeltfortzahlung für den Urlaubs- und Krankheitsfall der in einem Bordellbetrieb tätigen Prostituierten sowie der Umstand, dass die Prostituierten keine feststehende und gleichbleibende Entlohnung erhalten haben, sondern ihr Geld abhängig von der Anzahl ihrer Freier verdient haben, schließen die Annahme von Arbeitsverhältnissen mit dem Bordellbetreiber nicht aus.
3. Auch wenn ein Bordellbetrieb gegenüber den Kunden nach außen als einheitlicher Betriebs aufgetreten ist, die darin tätigen Prostituierten an eine strenge Hausordnung gebunden waren und u. a. die von ihnen verlangten Preise untereinander abstimmen und bestimmte Öffnungszeiten des Betriebs einhalten mussten, sowie Provisionen für die von ihren Kunden konsumierten Getränke erhalten haben, spricht es entscheidend gegen ein Arbeitsverhältnis mit dem Inhaber des Betriebs, wenn die Prostituierten den Dirnenlohn in aller Regel selbst auf eigene Rechnung bar vereinnahmt haben und an den Bordellbetreiber lediglich pro Nacht einen fixen, von der Anzahl der Freier und der Höhe des jeweils vereinnahmten Dirnenlohns unabhängigen Betrag für „Zimmermiete” bezahlen mussten, und wenn sie vom Bordellbetreiber keinen festen „Arbeitslohn” erhalten haben.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 1 Sätze 1-3, § 42d Abs. 1 Nr. 1; EStDV § 1 Abs. 2 Sätze 1-2
Tenor
1 Der Haftungsbescheid vom 23.12.2005 wegen Lohnsteuer, Solidaritätszuschlägen hierauf und Kirchenlohnsteuer evangelisch und römischkatholisch für die Besteuerungszeiträume 2000, 2001, 2002, 2003 und Januar bis September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.05.2006 wird aufgehoben.
2 Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3 Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als Inhaberin eines Nachtclubs und bordellähnlichen Betriebs als Arbeitgeberin zu Recht wegen der von den dort tätigen Prostituierten vereinnahmten Dirnenlöhne für Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge in Haftung genommen worden ist.
Die Klägerin war in den Streitjahren Inhaberin des Nachtclubs A in X. Die durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Y bei ihr in den Jahren 2004 und 2005 durchgeführte Fahndungsprüfung erbrachte folgende Sachverhaltsfeststellungen (vgl. Prüfungsbericht vom 30.11.2005):
Bei dem Nachtclub der Klägerin handelte es sich um einen bordellähnlichen Betrieb, in dem im streitigen Zeitraum eine Vielzahl verschiedener, dem Beklagten namentlich nicht bekannter Prostituierter tätig war. Darüber hinaus hatte die Klägerin nur eine bzw. zeitweise zwei Personen fest angestellt. Einer der festen Angestellten war W, der gemeinsam mit der Klägerin den Nachtclub leitete und im Zeitraum vom 1.01.-31.07.1998 selbst Inhaber des Nachtclubs gewesen war. Die zweite feste Angestellte war eine Aushilfsbedienung. Die in den Streitjahren tätigen Prostituierten arbeiteten zumeist nur vorübergehend für eine gewisse Zeit in dem Nachtclub der Klägerin. Für die Zeit ihrer nach Absprache mit der Klägerin bzw. deren Vertreter vereinbarten Anwesenheit unterlagen die Prostituierten einer festen von der Klägerin vorgegebenen Hausordnung und einem zeitlichen Anwesenheitsrahmen von jeweils 20:00 Uhr abends bis 5:00 Uhr morgens. Verspäteten sich die für den jeweiligen Abend eingeplanten Prostituierten um mehr als 5 Minuten nach Öffnung des Nachtclubs, hatten sie eine „Strafe” von 10 EUR an die Klägerin zu entrichten. Den mit ihren Freiern vereinbarten Dirnenlohn vereinnahmten die Prostituierten selbst und mussten hiervon auch keinen Anteil an die Klägerin abführen. Soweit die Freier den Dirnenlohn zusammen mit ihrer übrigen Zeche für an der Bar konsumierte Getränke mittels Karte bezahlten, wurden diese Beträge zunächst von der Klägerin vereinnahmt und der darin enthaltene Dirnenlohn an die Prostituierten weiterverrechnet. Ausweislich des Aktenvermerks der Steuerfahndungsstelle vom 18.02.2005 ergab die Vernehmung...