Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerverkürzung bei Schätzungsbescheiden; Zulässige Klage trotz Versäumnis der Ausschlussfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Stellt sich die Schätzung des FA wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung -nach später erfolgter Abgabe-- als zu hoch heraus, liegt eine vollendete Steuerhinterziehung nur vor, wenn der Schätzungsbescheid nach dem Zeitpunkt ergeht, zu dem die Veranlagungsarbeiten in dem entsprechenden Bearbeitungsbezirk des FA für den maßgeblichen Zeitraum abgeschlossen sind.
2. Gibt ein Steuerpflichtiger keine Steuererklärung ab oder reicht er die Steuererklärung verspätet ein, ist der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung u.a. dann erfüllt, wenn er sicher weiß oder für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er das FA über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt, ihn eine Rechtspflicht zur Offenbarung dieser Tatsachen trifft, er diese Rechtspflicht durch sein Verhalten verletzt und hierdurch Steuern verkürzt werden.
3. Eine in zulässiger Weise erhobene Klage, wird nicht wieder unzulässig, weil der erst später hinzugezogene Prozessbevollmächtigte die Originalvollmacht erst nach Ablauf der gemäß § 62 Abs. 3 FGO festgesetzten Ausschlussfrist vorlegt.
Normenkette
AO 1977 §§ 370, 162; FGO § 62 Abs. 3
Tatbestand
I.
Der Kläger (Kl) ist von Beruf selbständig tätiger Rechtsanwalt. Da er keine Steuererklärungen abgab, schätzte der Beklagte (Finanzamt -FA-) für die Streitjahre die Besteuerungsgrundlagen (für die davor liegenden Jahre gab der Kl Steuererklärungen ab). Entsprechend erließ das FA hinsichtlich der Einkommensteuer 1987 zunächst den Einkommensteuerbescheid vom 9.1.1989. Da dieser Bescheid auch an die im Januar 1987 verstorbene Ehefrau des Kl adressiert war, hob es diesen Bescheid wieder auf und setzte die Einkommensteuer 1987 mit Bescheid vom 30.8.1989 auf 21.904 DM fest. Im Allrechnungsteil dieses Bescheides ist vermerkt, dass hiervon bereits 10.000 DM getilgt waren. Diesen Betrag hatte der Kl mit Scheckzahlung vom 5.5.1989 zur Tilgung der Einkommensteuerschuld 1987 gezahlt.
Mit Einkommensteuerbescheid 1987 vom 23.1.1991, in dem die Besteuerungsgrundlagen ebenfalls noch geschätzt sind, wurde die Einkommensteuer auf 19.840 DM herabgesetzt. Mit Bescheid vom 17.3.1994 änderte das FA die Einkommensteuerveranlagung 1987 erneut und setzte die Einkommensteuer auf 22.776 DM herauf (Berücksichtigung höherer geschätzter Besteuerungsgrundlagen). Zugleich wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Die diesbezüglich geschuldeten Steuerbeträge wurden vom Kl zeitnah beglichen.
Die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuern der Streitjahre wurden zunächst ebenfalls geschätzt und die Umsatzsteuer 1987 mit Bescheid vom 9.1.1989 auf 14.100 DM, die Umsatzsteuer 1988 mit Bescheid vom 24.10.1989 auf 10.977 DM, die Umsatzsteuer 1989 mit Bescheid vom 7.11.1990 auf 10.400 DM sowie die Umsatzsteuer 1991 mit Bescheid vom 19.10.1992 auf 12.132 DM festgesetzt. Nachdem für das Jahr 1988 eine vorläufige Umsatzsteuererklärung eingegangen war, setzte das FA die Umsatzsteuer 1988 mit Bescheid vom 26.4.1990 auf 9.309 DM herab. Diese Veranlagung wurde mit Bescheid vom 17.3.1994 erneut gem. § 164 Abs. 2 AO geändert (höhere Umsatzschätzung, Umsatzsteuer nunmehr: 10.360 DM) und zugleich der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
In weiteren Bescheiden vom 17.3.1994 wurden die Umsatzsteuern für die Jahre 1989 und 1991 auf 11.100 DM (1989) bzw. 13.532 DM (1991) erhöht (Zugrundelegung höherer geschätzter Umsätze). Auch insoweit wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
Mit Verfügung vom 16.4.1992 hatte die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamtes ... ein Steuerstrafverfahren wegen Hinterziehung der Einkommensteuern 1987, 1989 und 1990 eingeleitet. Am 19.10.1994 erging insoweit ein Strafbefehl des Amtsgerichts München, mit dem eine Geldstrafe in Höhe von 13.500 DM festgesetzt wurde. Der Strafbefehl wurde rechtskräftig.
Die Steuererklärungen für die Streitjahre gingen am 28.4.1995 beim FA ein. Daraufhin änderte das FA die bisherigen Veranlagungen mit Bescheiden vom 14.6.1995, setzte die Einkommensteuer 1987 auf 6.582 DM herab und erhöhte die Umsatzsteuern 1987 auf 20.986 DM, 1988 auf 14.780 DM. 1989 auf 18.977 DM und 1991 auf 22.664 DM. Hierbei wurden zwar die Umsätze im Vergleich zu den geschätzten Beträgen teilweise niedriger angesetzt, die Vorsteuerbeträge wurden aber jeweils in einem deutlich geringeren Umfang in Ansatz gebracht. Im Streitjahr 1991 übertrafen auch die erklärten Umsätze die geschätzten Beträge erheblich.
Nach Änderung der Steuerveranlagungen setze das FA wegen Hinterziehung der Einkommensteuern 1987, 1989 und 1090 sowie der Umsatzsteuern 1987-1991 mit Bescheiden vom 13.3.1990 Hinterziehungszinsen gem. §§ 235, 238 und 239 AO fest. Hinsichtlich der Einkommensteuer hatten die Einsprüche teilweise Erfolg. Mit Bescheid vom 22.8.1997 bzw. 10.10.1998 wurden u. a. die Hinterziehungszinsen hinsichtlich der Einkommensteuer 1987 auf 1.560 DM herabgesetzt. Auf die Bes...