Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme als Haftungsschuldner; Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Stpfl. hat nicht lediglich – wie für die Würdigung für Zwecke des umsatzsteuerrechtlichen Vorsteuerabzugs relevant – (einfach) fahrlässig, sondern grob fahrlässig gehandelt, d.h. es war ihm grob fahrlässig nicht bekannt, dass es sich um Scheinlieferungen gehandelt hat. Ein solches grob fahrlässiges Handeln genügt für die Haftung nach § 69 AO.
2. Überlegungen zur Frage einer Verfassungswidrigkeit der gesetzlich mit 6 % festgelegten Zinsen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die gesetzlich mit 12 % festgelegten Säumniszuschläge übertragen. Die Regelung des § 240 AO deckt neben ihrem vorrangigen Zweck als Druckmittel weitere Zwecke ab. Angesichts dieses Mischcharakters der Regelung lässt sich kein entsprechender Zinsanteil identifizieren, welcher darauf überprüft werden könnte, ob er nicht mehr realitätsgerecht bemessen und damit evtl. verfassungsrechtlich überhöht sein könnte.
Normenkette
UStG § 240 Abs. 1; AO § 69 S. 1; UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (Finanzamt –FA–) den Kläger zu Recht wegen rückständiger Umsatzsteuerschulden der A GmbH i.L. (A-GmbH) für die Jahre 2014 und 2015 in Haftung genommen hat.
Der Kläger war in den Streitjahren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der im Jahr 2010 gegründeten und in B ansässigen A-GmbH. Gegenstand des Unternehmens der A-GmbH waren laut Eintragung im Handelsregister der Großhandel mit Lebensmitteln und Waren aller Art sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte und Dienstleistungen. In einem Zwischenbericht des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C (STRAFA-FA) über die steuerlichen Feststellungen bei der A-GmbH vom 23.3.2016 heißt es, die A-GmbH sei nach ihrer eigenen Außendarstellung im fraglichen Zeitraum tatsächlich lediglich beratend und vermittelnd tätig geworden und habe sich nicht als Handelsunternehmen präsentiert.
Laut den Ermittlungen des STRAFA-FA war die A-GmbH in den Jahren 2014 und 2015 als sog. „buffer” Bestandteil eines Umsatzsteuerkarussells über innergemeinschaftliche Reihengeschäfte mit vermeintlichen Lieferungen von der ebenfalls in B ansässigen D GmbH an die A-GmbH und von dieser wiederum an die in den Niederlanden ansässige E B.V. Die D GmbH war als Groß- und Einzelhändler tätig und belieferte insbesondere Einzelhandelsbetriebe, wie zum Beispiel Kioske/Trinkhallen und Getränkeläden. Sie wurde durch ihren Geschäftsführer, Herrn F vertreten. Als weiterer Mitarbeiter bei der D GmbH war Herr G an den vorliegend in Rede stehenden Geschäften beteiligt. Die E B.V. wurde durch ihren Geschäftsführer, Herrn H, vertreten. Gegenstand der hier in Rede stehenden vermeintlichen Lieferungen waren vor allem Verpackungsmaterialien (… etc.) sowie zum Teil auch Getränke (… etc.).
Die D GmbH stellte der A-GmbH im Zeitraum von Februar 2014 bis Juli 2015 Rechnungen mit Ausweis der Umsatzsteuer über Nettobeträge i.H.v. insgesamt EUR … (EUR …brutto) aus, aus denen die A-GmbH gegenüber dem FA einen Vorsteuerabzug i.H.v. insgesamt EUR …geltend machte. Die A-GmbH stellte im gleichen Zeitraum wiederum der E B.V. Rechnungen über steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen ohne Ausweis von Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt EUR …aus. Laut den Ermittlungen des STRAFA-FA hätten den vorgenannten Rechnungen tatsächlich keine Lieferungen zugrunde gelegen. Die verkauften Waren hätten nicht existiert und seien nicht zur E B.V. verbracht worden. Stattdessen seien Leertransporte durch beauftragte Spediteure durchgeführt worden, um tatsächliche Lieferungen vorzutäuschen. Es seien jedoch jeweils Zahlungen auf die Rechnungen vorgenommen worden.
Im Zwischenbericht vom 23.3.2016 vertrat das STRAFA-FA die Auffassung, dass bei der A-GmbH der Vorsteuerabzug i.H. der geltend gemachten EUR … zu versagen sei, da ein Leistungsaustausch tatsächlich nicht stattgefunden habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Zwischenbericht des STRAFA-FA vom 23.3.2016 Bezug genommen.
Das FA folgte der Beurteilung des STRAFA-FA und erließ gegenüber der A-GmbH – gestützt auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) – am 13.7.2016 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2014 sowie mit Datum vom 30.8.2016 geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Januar bis Mai 2015. Hieraus ergaben sich Rückzahlungsbeträge i.H.v. insgesamt EUR … (für 2014: EUR … zzgl. Zinsen i.H.v. EUR …; für Januar 2015: EUR …, für Februar 2015: EUR …, für März 2015: EUR …, für April 2015: EUR … sowie für Mai 2015: EUR …).
Gegen diese Bescheide legte die A-GmbH Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens stellte die A-GmbH einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Finanzgericht Münster, der dort unter dem Aktenzeichen 5 V 3846/16 geführt wurde. Mit Beschluss vom 2.5.2017 lehnte das Finanzgericht Münster den AdV-Antrag als unbegründet ab. Hierzu führte es u.a. aus, die zwischen der A-GmbH...