Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Das Kindergeld wird an das Kind ausgezahlt, wenn der Unterhaltspflichtige wegen fehlender Leistungsfähigkeit keinen Bar-Unterhalt zahlen muss.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Abzweigung von Kindergeld.
Die Klägerin gewährt den Kindern B. U (geb. x. September 1971) und N. U. (geb. x. November 1979) seit dem 1. April bzw. 1. Mai 2004 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dies erfolgte zunächst nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG), seit dem 1. Januar 2005 beruhen die Leistungen auf den Regelungen des 4. Kapitels des 12. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). B. und N. leben im Haushalt ihrer Eltern. Sie arbeiten in der Werkstatt „D.” für behinderte Menschen.
Bis zum 31. März 2005 rechnete die Klägerin bei der Bemessung der Leistung nicht nur das Einkommen der Kinder aus ihrer Beschäftigung in der Werkstatt „B.” an, sondern auch das für sie ihrem Vater (dem Beigeladenen) gezahlte Kindergeld.
Gegen die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen der Kinder hat der Beigeladene, der zugleich auch der Betreuer (§§ 1897 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) der Kinder ist, im Februar 2005 Widerspruch eingelegt. Zur Begründung führte er an, dass er seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II erhalte. Auf den Bedarf des Lebensunterhaltes werde ebenfalls das Kindergeld für die beiden Kinder angerechnet. Da er das Kindergeld zur Deckung des eigenen Lebensbedarfes benötige, bitte er, die Grundsicherungsleistungen der Kinder ohne Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren.
Die Klägerin gab dem Widerspruch statt. Sie beantragte zugleich mit Schreiben vom 9. März 2005 bei der Beklagten die Abzweigung des Kindergeldes, da der Beigeladene den Lebensunterhalt der Kinder nicht, auch nicht teilweise sicherstelle. Die Beklagte lehnte den Abzweigungsantrag am 18. März 2005 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass eine Unterhaltspflichtverletzung der Eltern nicht bestehe. Durch die Haushaltsaufnahme der Kinder werde in ausreichender Höhe Unterhalt gewährt.
Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2005). Zur Begründung verwies die Beklagte erneut darauf, dass der kindergeldberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht erfülle. Der Umfang der Unterhaltsleistungen erreiche das auf das Kind entfallende Kindergeld. Die Kinder lebten im Haushalt des Kindesvaters. Mindestens durch die Gewährung der Unterkunft erfülle der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht.
Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor:
Die Eltern der Kinder, die seit Jahren arbeitslos seien und von öffentlichen Leistungen lebten, seien mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig. Damit seien die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes gem. § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) erfüllt.
Unbeachtlich sei, ob die Eltern ihren Kindern freiwillig Unterhalt gewährten. Zudem werde von den Eltern nicht dargelegt, dass sie Unterhaltsleistungen in bar oder natura erbrächten. Wäre dies der Fall, müssten diese leistungsmindernd auf die Ansprüche der Kinder auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII angerechnet werden. Insoweit entbehre die Behauptung der Beklagten, der kindergeldberechtigte Elternteil erfülle seine Unterhaltspflicht und der Umfang der Leistungen erreiche die Höhe des Kindergeldes, jeder Grundlage. Dies gelte insbesondere in Bezug auf die Behauptung, der Beigeladene gewähre den Kindern Unterkunft. Zwar habe der Beigeladene die Kinder in seine Wohnung aufgenommen, jedoch entstünden hierfür keine Kosten. Der auf die Kinder entfallende Anteil an Kosten für Unterkunft und Heizung werde in die Leistung der Grundsicherung nach dem SGB XII einbezogen und an den Beigeladenen ausgezahlt. Dementsprechend seien bei der Bemessung der den Eltern gewährten Grundsicherung nach dem SGB II auch nur die verbleibenden, auf die Eltern entfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Der Beigeladene und dessen Ehefrau hätten gar nicht die wirtschaftlichen Mittel, um den Kindern Unterkunft im unterhaltsrechtlichen Sinne zu gewähren. Die Vorschriften des § 74 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EStG bezögen sich eindeutig auf materielles Unterhaltsrecht, d. h. auf die Pflicht zur Gewährung von Bar- und Naturalunterhalt. Der Kindergeldberechtigte, der lediglich über die Leistungen für Arbeitssuchende verfüge, sei danach aber nicht unterhaltsverpflichtet.
Unberücksichtigt müsse demgegenüber bleiben, dass der Beigeladene bzw. dessen Ehefrau möglicherweise Unterhalt in Form von Betreuungsleistungen für ihre Kinder erbrächte. Dies ergebe sich, wie der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 16. April 2002 (VIII R 50/01) bestätigt habe, aus dem Sinn der gesetzlichen Regelung. Durch sie solle sichergestellt werden, dass auch ohne eine...