Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Steuerbefreiung bzw. des Steuersatzes bei der Verabreichung von Medikamenten durch ein Krankenhaus zur ambulanten Behandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit einer steuerbefreiten Heilbehandlung "eng verbundene Umsätze" liegen vor, wenn sie als Nebenleistung zu einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung anzusehen sind, also keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern das Mittel darstellen, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können.
2. Die Klinik hat mit der Durchführung der ambulanten Krebstherapie begünstigte Krankenhausbehandlungen durchgeführt. Die Therapien dienten der Behandlung von Krebserkrankungen und zielten auf deren Heilung ab. Die in diesem Rahmen erfolgte Abgabe von Zytostatika stellt einen eng mit den Krankenhausbehandlungen verbundenen Umsatz dar, denn sie wird als Nebenleistung zur Krebstherapie erbracht.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 16 Buchst. b
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob und ggfs. mit welchem Steuersatz Lieferungen von Medikamenten zur Behandlung von Krebserkrankungen (sog. Zytostatika), die von einem Krankenhaus im Rahmen einer ambulanten Behandlung verabreicht werden, der Umsatzsteuer unterliegen.
Die Klägerin (Klin.) betreibt ein Krankenhaus und ist als gemeinnützige Einrichtung anerkannt. In den Streitjahren 2005 und 2006 verfügte sie über eine sog. Institutsermächtigung gemäß § 116a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), d.h., sie war zur Deckung einer vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgestellten Unterversorgung ermächtigt, ambulante Behandlungen durchzuführen. Soweit die ambulanten Behandlungen durch Krankenhausärzte durchgeführt wurden, handelten diese gemäß § 116 SGB V aufgrund einer persönlichen Ermächtigung. Diese ist gemäß § 116 Satz 2 SGB V zu erteilen, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten anders nicht sichergestellt werden kann.
In den Streitjahren führte die Klin. ambulante Behandlungen von Krebspatienten im Rahmen von Chemotherapien durch. Die im Rahmen dieser Therapien an die Patienten verabreichten Zytostatika wurden von der Klin. in der von ihr unterhaltenen Krankenhausapotheke nach ärztlicher Anordnung zeitnah und individuell für den jeweiligen Patienten hergestellt. Die mit den Zytostatika erzielten Nettoumsätze der Klin. beliefen sich nach ihren Angaben im Streitjahr 2005 auf 3.925.906,– EUR und im Streitjahr 2006 auf 4.355.943,– EUR. Auf die entsprechenden Eingangsumsätze entfielen Vorsteuerbeträge in Höhe von 366.287,– EUR in 2005 und 399.305,– EUR in 2006.
In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre gab die Klin. die Zytostatikaumsätze nicht an und machte auch keinen Vorsteuerabzug aus den Eingangsumsätzen geltend, da sie vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchstabe b) des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre gültigen Fassung (UStG a.F.) ausging. Die Steuererklärungen führten zu unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen in Höhe von 20.579,17 EUR für 2005 und 123.075,65 EUR für 2006.
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E vertrat im Rahmen einer für die nicht streitbefangenen Zeiträume 2002 bis 2004 durchgeführten Betriebsprüfung die Auffassung, dass die Umsatzerlöse aus der entgeltlichen Abgabe von Medikamenten an Tumorpatienten wegen einer Änderung von Abschn. 100 Abs. 3 der Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) ab 2005 nicht mehr steuerfrei seien. Der Beklagte (Bekl.) folgte dieser Ansicht und setzte mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden vom 7. September 2007 die Umsatzsteuer für 2005 auf 369.636,19 EUR und für 2006 auf 478.675,93 EUR herauf. Dabei berücksichtigte er nicht nur die Zytostatikaumsätze, sondern sämtliche von der Klin. mitgeteilte Umsätze mit im Rahmen von ambulanten Behandlungen abgegebenen Medikamenten als steuerpflichtig und gewährte im Gegenzug einen Vorsteuerabzug.
Gegen diese Bescheide legte die Klin. am 14. September 2007 Einsprüche ein, mit denen sie die Steuerfreiheit der Zytostatikaumsätze nach § 4 Nr. 16 Buchstabe b) UStG a.F. begehrte. Es handele sich um eng mit dem Krankenhausbetrieb verbundene Umsätze, da nur besonders auf diese Behandlungen ausgerichtete Krankenhäuser in der Lage seien, flächendeckend eine Belieferung mit Zytostatika sicherzustellen. Niedergelassene Apotheken seien wegen des Erfordernisses einer individuellen und zeitnahen Herstellung nicht in der Lage, eine Versorgung mit Zytostatika sicherzustellen. Der Konkurrenzgedanke müsse daher zurücktreten. Hilfsweise seien die Umsätze dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 1 Nr. 8 Buchstabe a) UStG zu unterwerfen, da die Leistungen im Bereich eines Zweckbetriebs nach § 66 AO erbracht worden seien. Der Verkauf von Medikamenten gehöre grundsätzlich in den Bereich der Wohlfahrtspfleg...