Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandskraft des Kindergeldbescheids
Leitsatz (redaktionell)
Die Bestandskraft eines Kindergeldbescheides kann nach den Grundsätzen des Gerichts (FG Münster v. 24.3.2006 - 11 K 4391/05 KG, EFG 2006, 988) nach § 70 Abs. 4 EStG durchbrochen werden.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 70 Abs. 4
Tatbestand
I.
Zu entscheiden ist, ob zugunsten des Klägers (Kl.) noch Kindergeld festgesetzt werden kann.
Der Kl. ist der Vater des am 04.08.1982 geborenen Kindes N.. Von August 2002 bis Juni 2005 befand sich N. in einer Ausbildung zur Steuerfachangestellten.
Mit Bescheid vom 24.09.2004 hob die Beklagte (Bekl.) unter Hinweis darauf, das nach den vorliegenden Unterlagen das von N. im Jahre 2004 erzielte Einkommen den für dieses Jahr maßgeblichen Grenzbetrag übersteigen werde, die Festsetzung von Kindergeld für N. mit Wirkung ab Januar 2004 auf. Dabei ging die Beklagte (Bekl.) auf der Grundlage einer Ausbildungsbescheinigung von N.s Ausbildungsbetrieb vom 28.11.2003 davon aus, dass N. im Jahre 2004 voraussichtlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 7.819,05 Euro erzielen werde. Bei ihrer Berechnung der von N. voraussichtlich in 2004 erzielten Einkünfte berücksichtigte die Bekl. die von N.s Ausbildungsvergütung einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht. Auch die Ausbildungsbescheinigung von N.s Ausbildungsbetrieb enthielt hierzu keinerlei Angaben.
Der Bescheid vom 24.09.2004 wurde vom Kl. nicht angefochten.
Nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.01.2005 – 2 BVerfG – 167/02 (NJW 2005, 1923) veröffentlicht worden war, beantragte der Kl. unter Vorlage einer neuen Ausbildungsbescheinigung, die dieses Mal auch Angaben zu den von N.s Ausbildungsvergütung einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträgen enthielt, erneut die Festsetzung von Kindergeld für N. zu seinen Gunsten.
Mit Bescheid vom 30.11.2005 setzte die Bekl. daraufhin zugunsten des Kl. wieder Kindergeld für N. fest, allerdings erst mit Wirkung ab Oktober 2004. Die Festsetzung von Kindergeld bereits mit Wirkung ab Januar 2004 lehnte sie unter Hinweis auf die Bestandskraft ihres Bescheides vom 24.09.2004 ab.
Hiergegen richtet sich die von dem Kl. nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage.
Er ist der Auffassung, dass nach der Entscheidung des BVerfG zu seinen Gunsten Kindergeld für N. bereits mit Wirkung ab Januar 2004 festzusetzen sei. Gegenüber der von ihm erstrebten Festsetzung von Kindergeld für N. bereits mit Wirkung ab Januar 2004 könne sich die Bekl. im Hinblick auf die Regelung des § 70 Abs. 4 EStG auch nicht mit Erfolg auf die Bestandskraft ihres Bescheides vom 24.09.2004 berufen.
Der Kl. beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 30.11.2005, soweit damit eine Festsetzung von Kindergeld für N. mit Wirkung ab Januar 2004 abgelehnt wurde, sowie die Einspruchsentscheidung vom 15.12.2005 aufzuheben und die Bekl. zu verpflichten, zu seinen Gunsten Kindergeld für N. bereits mit Wirkung ab Januar 2004 festzusetzen.
Die Bekl. beantragt,
das Ruhen des Verfahrens anzuordnen,
hilfsweise,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass es im Hinblick auf zahlreiche Revisionsverfahren, in denen ebenfalls die Frage der Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG entscheidungserheblich sei, sachgerecht sei, im Streitfall das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass der vom Kl. erstrebten Festsetzung von Kindergeld für N. mit Wirkung ab Januar 2004 bereits die Bestandskraft des Bescheides vom 24.09.2004 entgegenstehe. Eine Korrektur dieser bestandskräftigen Entscheidung sei nicht möglich, da es dafür keine Rechtsgrundlage gebe. So sei § 70 Abs. 4 EStG nicht anwendbar, da Änderungen der Rechtsauffassung durch Rechtsprechung oder Verwaltungsanweisung nicht unter diese Regelung fielen. Aber auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme nicht in Betracht, da eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm sowie eine nachträgliche Gesetzesänderung keine Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO darstellten.
Mit Schriftsatz vom 07.08.2006 hat der Kläger mitgeteilt, er sei mit dem Ruhen des Verfahrens nur einverstanden, wenn der Senat sich nicht in der Lage sehe, über die streitige Rechtsfrage zu entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die von der Bekl. vorgelegte Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
Dem Antrag der Beklagten, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, war nicht zu entsprechen.
Gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 ZPO ist Voraussetzung für eine derartige Anordnung, dass sie von beiden Beteiligten beantragt wird. Zwar hat der Kl. mit Schriftsatz vom 02.08.2006 sich ebenfalls mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt. Da der Kl. sein Einverständnis jedoch ausdrücklich nur für den Fall erklärt hat, dass „der Senat sich nicht in der Lage sieht, über die hier streitige Rechtsfrage zu...