Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service

 

Leitsatz (redaktionell)

Die sachliche Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service bei Ablehnung eines Stundungsantrags wird nicht dadurch geheilt, dass die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse die Einspruchsentscheidung erlässt.

 

Normenkette

FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO §§ 126-127, 130, 16

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.02.2023; Aktenzeichen III R 15/22)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Stundung einer Kindergeldrückforderung.

Nachdem die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse S. der Klägerin zunächst Kindergeld für ihren Sohn Q. bewilligt hatte, hob sie durch Bescheid vom 08.02.2012 die Festsetzung des Kindergeldes für Q. ab November 2010 auf und forderte das insoweit überzahlte Kindergeld von der Klägerin zurück. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Die Vollstreckung des Rückforderungsbescheides übernahm die Beklagte.

Nachdem der Klägerin im Hinblick auf den Rückforderungsbetrag zunächst die Möglichkeit einer Ratenzahlung eingeräumt worden war, forderte sie die Beklagte durch Schreiben vom 03.05.2019 (Bl. 100 der beigezogenen Inkassoakte der Beklagten) zum Ausgleich des zu diesem Zeitpunkt offenen Forderungsbetrages i.H.v. 1.552,50 € auf. Den im Anschluss hieran gestellten Antrag der Klägerin auf (weitere) Stundung bzw. Ratenzahlung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 09.12.2020 ab und forderte die Klägerin auf, den zu diesem Zeitpunkt noch offenen Rückzahlungsbetrag i.H.v. 564,00 € zzgl. Säumniszuschläge i.H.v. 625,00 € auszugleichen. Den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin wies die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord durch Einspruchsentscheidung vom 12.03.2021 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für eine Stundung nach § 222 der Abgabenordnung (AO) in Bezug auf die Klägerin und deren wirtschaftliche Verhältnisse nicht vorlägen, da die Stundung dazu führen würde, dass die Forderung nur mit Schwierigkeiten realisiert werden könne. Vor diesem Hintergrund sei anzunehmen, dass durch eine Stundung die Begleichung der Forderung gefährdet würde.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die – teilweise – Stundung der Kindergeldrückforderung vom 08.02.2012. Zur Begründung führt sie aus, der die Stundung ablehnende Bescheid sei von der Beklagten als der sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden. Die hierdurch begründete Rechtswidrigkeit könne auch nicht nach § 126 Abs. 2 AO dadurch geheilt werden, dass die – eigentlich sachlich zuständige – Familienkasse NRW Nord den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen habe. Ungeachtet der Unzuständigkeit der Beklagten erweise sich die Versagung der Stundung auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil sich in ihrem Fall, dem Fall der Klägerin, die Vollstreckungsmöglichkeiten im Hinblick auf die streitbefangene Kindergeldrückforderung nicht verschlechtern, sondern nur verbessern könne. Schließlich beziehe sie unpfändbares Einkommen und besitze keine werthaltigen Vermögensgegenstände. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Forderung im Falle einer Stundung gefährdet sei. Auch sei im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Antrag dem Sinn und Zweck des § 222 AO nicht in hinreichendem Maße Rechnung getragen worden, da verkannt worden sei, dass die Stundung im vorliegenden Fall dem Interesse des Gläubigers entspreche, da nur die Stundung die Realisierung der Forderung sicherstelle, während eine (zeitnahe) Vollstreckung der Gesamtforderung mangels Vollstreckungsmasse u.U. jedenfalls teilweise erfolglos bleibe.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Bescheid der Beklagten vom 09.12.2020 und die Einspruchsentscheidung vom 12.03.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Stundungs- und Ratenzahlungsantrag nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie vertritt die Auffassung, eine Stundungsbedürftigkeit der Klägerin liege nicht vor. Auch sei nicht zu ersehen, dass die Ablehnung des Antrages der Klägerin ermessensfehlerhaft sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Am 09.11.2021 ist unter der Leitung des Berichterstatters ein Erörterungstermin durchgeführt worden, in dessen Rahmen die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

II. Die Klage ist zutreffend gegen die Agentur für Arbeit Inkasso-Service als Beklagte gerichtet. Sie bedarf insoweit keiner anderweitigen Auslegung.

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist die Klage gegen diejenige ...

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