Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers auf nachträglich festgesetztes Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG kommt nach der Rspr. des BFH in den Fällen und für Zeiträume nicht in Betracht, in denen Sozialleistungen an ein in einem eigenen Haushalt lebenden Kind erbracht worden sind, während das Kindergeld unter Geltung des BSHG als Einkommen beim anspruchsberechtigten Elternteil zu berücksichtigen war.
2) Ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG besteht jedoch, wenn die minderjährigen Kinder zum Haushalt der Eltern gehörten und das Kindergeld auf die Sozialleistungen angerechnet worden wäre.
Normenkette
SGB X §§ 103-104, 107; BSHG § 76 Abs. 2 Nr. 5; EStG § 74 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kindergeld an die Stadt M (Beigeladene) als Sozialleistungsträger i.S. des § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG).
Die Klägerin (Kl.) stammt aus Syrien. Sie ist mit Herrn O verheiratet. Beide sind leibliche Eltern der Kinder S (geb. 25.05.1988), a (geb. 02.04.1989), J (geb. 29.05.1990), Sa (geb. 28.07.1991), Si (geb. 12.04.1995) und Y (geb. 29.05.1999). Die Familie hält sich seit Juni 1990 in Deutschland auf. Die Kinder lebten im Streitzeitraum – Juni 2000 bis Februar 2005 – mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Kl. und ihr Ehemann bezogen für sich und ihre Kinder bis zum 31.12.2004 Sozialleistungen von der Beigeladenen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt, Unterkunftskostenzuschüssen und Bekleidungsgeldern nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), ab dem 01.01.2005 erhielten sie entsprechende Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf die Kinder entfiel dabei für den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 ein Gesamtleistungsbetrag i.H. von insgesamt 74.096,30 EUR. Hinsichtlich der monatlichen Leistungsbeträge sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Aufstellung der Beigeladenen zum Schriftsatz vom 15.08.2008 sowie die von der Beigeladenen vorgelegten Kostenblätter, Berechnungsprotokolle und Leistungsbescheide verwiesen (Bl. 32 u. 33 Gerichtsakte nebst Anlagenhefter).
Die Kl. hatte am 24.03.2000 und am 13.05.2005 die Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld für ihre sechs Kinder bei der Beklagten (Bekl.) beantragt. Die Bekl. lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 02.05.2000 und 15.06.2005 ab. Ein gegen den Ablehnungsbescheid vom 02.05.2000 geführtes Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2000 erhob die Kl. Klage zum Finanzgericht Münster (Aktenzeichen 11 K 7481/00 Kg).
Auf einen erneuten Antrag vom 21.10.2005 setzte die Bekl. mit Bescheid vom 18.11.2005 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs Kinder zunächst mit Wirkung ab Oktober 2005 fest und zahlte die entsprechenden Beträge an die Kl. aus.
Mit Schreiben vom 11.06.2007 teilte die Beigeladene der Bekl. mit, dass die Kl., ihr Ehemann und deren Kinder in der Vergangenheit Sozialleistungen bezogen hätten und machte insofern einen Erstattungsanspruch im Hinblick auf das der Kl. möglicherweise für zurückliegende Zeiträume zustehende Kindergeld i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Den Erstattungsanspruch wollte sie vor der Auszahlung noch präzisieren.
Im Anschluss an zwei Telefonate mit den zuständigen Bearbeitern des Sozialamtes der Beigeladenen setzte die Bekl. mit auf § 172 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) gestütztem Änderungsbescheid vom 07.09.2007 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs Kinder mit Wirkung ab Juni 2000 bis einschließlich September 2005 fest. Die nachträgliche Festsetzung des Kindergeldes führte zur Erledigung des finanzgerichtlichen Verfahrens 11 K 7481/00 Kg in der Hauptsache.
Mit dem gleichen Bescheid vom 07.09.2007 teilte die Bekl. der Kl. ferner mit, dass der Kindergeldbetrag für den Zeitraum von Juni 2000 bis einschließlich Februar 2005 i.H. von 56.322,46 EUR an die Beigeladene erstattet werde, da diese für den entsprechenden Zeitraum Sozialleistungen ohne die Anrechnung von Kindergeld gewährt habe. Der Anspruch gelte insofern gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X gegenüber der Kl. als erfüllt. Der auf die Monate März bis September 2005 entfallende Kindergeldbetrag i.H. von 6.993,– EUR werde dagegen an die Kl. ausgezahlt.
Ebenfalls mit Schreiben vom 07.09.2007 informierte die Bekl. die Beigeladene über die nachträgliche Kindergeldfestsetzung und die zu erwartenden Erstattungen. Die Erstattungsbeträge wurden am 11./12.09.2007 an die Beigeladene ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 08.10.2007 legte die Kl. Einspruch gegen den Bescheid der Familienkasse vom 07.09.2007 ein, soweit darin über die Erstattung und Auszahlung des Kindergeldes an die Beigeladene entschieden worden war.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 wies die Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Dabei führte sie aus, dass die auf den ...