Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbeschränkte Steuerpflicht, Wohnsitz im Inland
Leitsatz (redaktionell)
1) Im Allgemeinen besteht eine widerlegbare Vermutung, dass ein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte seinen Wohnsitz dort hat, wo sich seine Familie befindet. Bei entsprechenden tatsächlichen Umständen sind hiervon im Einzelfall jedoch Ausnahmen möglich.
2) Ein inländischer (Familien-)Wohnsitz des im Ausland arbeitenden und dort wohnenden Ehegatten besteht nicht fort, wenn der andere Ehegatte mit dem gemeinsamen Kind vor oder während des Auslandsaufenthalts in eine kleinere inländische Wohnung umzieht, in die der im Ausland arbeitende Ehegatte im Fall seiner Rückkehr mit seiner Familie nicht dauerhaft leben würde.
Normenkette
AO § 8; EStG § 1 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in dem Streitjahr 2011 im Inland einen Wohnsitz (§ 8 AO) hatte und somit unbeschränkt steuerpflichtig war.
Die Kläger sind verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter (geb. am xx.yy.1996).
Der Kläger war nach seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität N-Stadt (Inland) zunächst Friedensfachkraft für den Zivilen Friedensdienst des A-Entwicklungsdienstes in Guatemala (10/2001 – 03/2007). Die Klägerin und die gemeinsame Tochter lebten in dieser Zeit mit dem Kläger in Guatemala.
Anschließend nahm der Kläger eine Tätigkeit als xxx bei xxx in Zypern (03/2007 – 07/2007) und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) in Genf (09/2007) auf und wohnte an diesen Orten. Die Klägerin und die Tochter kehrten nach Deutschland zurück und lebten unter der Adresse C-Straße 1 in S-Stadt (Inland). Hierbei handelte es sich um eine 75m² große Wohnung mit 3 Zimmern, Küche und Bad. Der Kläger lebte in dieser Wohnung in dem Zeitraum 08/2007 und 10/2007 – 12/2007.
Danach war der Kläger als xxx in Chile tätig (01/2008 – 09/2009) und wohnte in Santiago de Chile. Ab September 2009 lebte die Klägerin mit der Tochter unter der Adresse J-Straße 2 in S-Stadt (Inland). Hierbei handelte es sich um 62 m² große Dachgeschoßwohnung mit 2 Zimmern (14 m² und 27 m² abzgl. Schrägen), Küche (16 m² abzgl. Schrägen), Bad (7 m²) und Flur (10 m²).
Im Anschluss nahm der Kläger eine Tätigkeit als Friedensfachkraft im Zivilen Friedensdienst der H-Gesellschaft (H) auf (10/2009 – 10/2011) auf. Hierfür wohnte er nach einem Vorbereitungslehrgang in C-Stadt (Inland) in Nepal (12/2009 – 10/2011). In dem Zeitraum August 2010 bis November 2011 lebten die Klägerin und die gemeinsame Tochter bei dem Kläger in Nepal. Dort bewohnte die Familie ein 200 m² großes Haus mit 5 Zimmern, Küche und 3 Bädern. Der Mietvertrag über die Wohnung in S-Stadt (Inland), J-Straße 2, bestand weiterhin.
Schließlich war der Kläger wieder für das IKRK tätig (ab 10/2011). Sein Einsatzgebiet war zunächst Libyen (wohnhaft in Tripolis) und später Kolumbien (ab 2013; wohnhaft in Bogotá). Der Tätigkeit in Libyen lag ein Anstellungsvertrag zugrunde, der ein monatliches Grundgehalt i. H. v. xxx CHF vorsah. Dies waren 80 % des Standard-Gehalts von yyy CHF, indexiert entsprechend des Landes des Wohnsitzes. Als Wohnsitz wurde angegeben: S-Stadt (Inland), Deutschland.
Im Streitjahr 2011 hielt sich der Kläger an insgesamt 29 Tagen im Inland auf:
Die Kläger reichten für 2011 eine Einkommensteuererklärung für die Klägerin als unbeschränkt Steuerpflichtige und eine Einkommensteuererklärung für den Kläger als beschränkt Steuerpflichtigen ein. Der Beklagte teilte hierzu mit, dass für die Kläger in 2011 eine unbeschränkte Steuerpflicht bestanden habe. Hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses mit dem IKRK sei zu prüfen, ob steuerpflichtige Einkünfte vorliegen. Hierauf erwiderten die Kläger, dass der Kläger zwar mit seinen Einkünften aus der Tätigkeit für die H unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei (§ 1 Abs. 2 Satz 1 EStG). Allerdings gelte dies nicht für die Einkünfte aus seiner Tätigkeit für das IKRK. Der Kläger sei diesbezüglich nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er habe im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Außerdem lägen die Voraussetzungen für eine erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) bei dieser Tätigkeit nicht mehr vor.
Der Beklagte führte eine Zusammenveranlagung im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht durch und erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid unter dem 06.11.2013. Zur Erläuterung führte er aus, dass die Kläger spätestens seit November 2011 unter der deutschen Anschrift (J-Straße 2) wohnhaft seien und dadurch eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht begründet werde. Die Einkünfte aus der Tätigkeit für das IKRK seien zu versteuern, da mit Libyen kein Doppelbesteuerungsabkommen existiere und keine Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 61 EStG (Entwicklungshelferleistungen) vorliege. Gegen diesen Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.01.2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung stellte er seine A...