Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit der Null-Regelung bei Rechnungen von Scheinfir-men
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Null-Regelung ist auch anzuwenden, wenn die im Rechtsverkehr als leistende Unternehmer aufgetretenen Firmen Scheinfirmen sind, weil § 52 Abs. 2 UStDV kein vereinfachtes Verfahren zur Durchführung des Vorsteuerabzugs darstellt, sondern lediglich dem Zweck dient, das Besteuerungsverfahren unter Sicherstellung des inländischen Besteuerungsaufkommens zu vereinfachen.
2) Der Senat folgt nicht der bisherigen BFH-Rechtsprechung, wonach zur Anwendung der Null-Regelung die Ausstellung einer Rechnung durch den leistenden Unternehmer erforderlich ist. Im übrigen hat das FA nachzuweisen, daß die Scheinfirmen die Leistungen nicht erbracht haben.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1, 1 Nr. 1, Abs. 2, § 18; UStDV §§ 51, 52 Abs. 2, 2 Nrn. 1-2, Abs. 3, §§ 54-55; AO § 160
Tatbestand
Streitig ist, ob im umsatzsteuerrechtlichen Abzugsverfahren die sog. „Nullregelung” nicht anwendbar ist, weil Rechnungen von Scheinfirmen vorliegen.
Die Klägerin (Klin.), ein im Inland ansässiges Bauunternehmen, bediente sich zur Erfüllung übernommener Aufträge verschiedener Subunternehmer. Unter anderem schloß sie schriftliche Bauverträge mit den Firmen O. London … (O.), bzw. V. Birmingham … (V.), ab. Beide Firmen erteilten der Klin. durchweg wöchentlich Abrechnungen über Maurerarbeiten und andere Bauleistungen, teilweise auch über „anerkannte” bzw. „nachgewiesene Arbeitsstunden” oder „Regiestunden”. Alle Rechnungen waren ohne Umsatzsteuer(USt)-Ausweis, und zwar unter Hinweis auf die „Nullregelung” nach § 18 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Verbindung mit § 51 Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Die Rechnungen enthielten eine englische umsatzsteuerliche Id-Nummer. In den Rechnungen der V. war neben der englischen Adresse eine niederländische Anschrift „… B.” angegeben. Die Rechnungen wurden mit Bar- bzw. Verrechnungsschecks bezahlt.
In den USt-Erklärungen 1993 und 1994 machte die Klin. für die von O. und V. abgerechneten Leistungen die „Nullregelung” geltend und führte keine USt für die Vorbezüge ab.
Nach einer USt-Sonderprüfung (Sp, Bericht vom 08.03.1995 Tz. 9) und einer allgemeinen Betriebsprüfung (Bp, Bericht vom 21.03.1997 Tz. 9) vertrat das beklagte Finanzamt (FA) die Auffassung, daß die Klin. die Existenz der Rechnungsaussteller nicht nachgewiesen habe; die O. und die V. seien Schein- oder Abdeckfirmen ohne eigenen Geschäftsbetrieb, unter deren Namen unbekannte Dritte die abgerechneten Leistungen ausgeführt hätten. Die Prüfer und das FA begründeten ihre Auffassung mit Auskünften des Bundesamtes für Finanzen (BfF). Nach dessen Feststellungen war die O. im November 1992 ins englische Handelsregister eingetragen und nach Eröffnung eines Konkursverfahrens im November 1995 – im November 1997 gelöscht worden. Obwohl die O. den Status einer „small company” besaß und deshalb nur Kurzbilanzen ohne Gewinn- und Verlustrechnung aufstellen mußte, hatte sie ab dem Geschäftsjahr 1993/1994 keine Bilanz vorgelegt. Gesellschafter der O. waren die laut BfF als Briefkastenfirmen bekannten J. Ltd. und H. Ltd. Unter den Rechnungsanschriften war laut BfF kein Geschäftslokal der O. eingerichtet, sondern war eine Buchhaltungsfirma B. ansässig. Die O. war weder in englischen Telefon- noch in englischen Firmenverzeichnissen eingetragen und verfügte laut BfF über keine eigenen gewerbliche Arbeitnehmer. Nach den Feststellungen des BfF war die V., ebenfalls eine „small company”, im Mai 1991 ins Handelsregister eingetragen und im Januar 1997 gelöscht worden, nachdem sie für das Geschäftsjahr 1993/1994 keine Bilanz vorgelegt hatte. Unter der englischen Rechnungsanschrift unterhielt laut BfF die V. keinen Geschäftssitz; vielmehr residierte dort die Servicefirma „S. Ltd”. Über die in den Rechnungen aufgeführte Postadresse konnte laut BfF die V. in den Niederlanden nicht ermittelt werden. In B. wohnte der Gesellschafter und Direktor der V., der niederländische Staatsbürger … W.. Auch die V. war in den englischen Telefon- und Branchenverzeichnissen nicht eingetragen und verfügte über keine gewerblichen Arbeitskräfte. Das BfF rechnete die O. und die V. zu der Vielzahl englischer Briefkastenfirmen, über die in England Handwerker zum Arbeitseinsatz auf dem Kontinent angeworben wurden zu dem Zweck, diese mithilfe sog. Koppelbaasen, d.h. in den Niederlanden ansässiger Briefkastenfirmen, an im Bauwesen tätige inländische Steuerpflichtige im Rahmen illegaler Arbeitnehmerüberlassung zu vermitteln.
Aufgrund dieser Feststellungen erließ das FA unter Hinweis auf § 55 UStDV am 14.05.1997 einen Haftungsbescheid betreffend USt 1993 und 1994, in dem es die Klin. auf die USt für von O. und V. abgerechneten Leistungen in Anspruch nahm. Das FA führte an, daß die Inanspruchnahme der englischen Subunternehmer keinen Erfolg verspreche, so daß die Inanspruchnahme der Klin. ermessensgerecht sei.
Der Einspruch blieb erfolglos. Die abschlägige Einspruchsentscheidung (EE) vom 09.09.199...