Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögensverlagerungen zwischen niederländischen Schwestergesellschaften
Leitsatz (redaktionell)
1) § 1 Abs. 1 AStG ist dahingehend auszulegen, dass sämtliche Merkmale des gesetzlichen Tatbestands gleichzeitig und unmittelbar bei dem Steuerpflichtigen vorliegen müssen.
2) § 1 Abs. 1 AStG verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52, 58 EGV.
3) Art. 6 Abs. 1 DBA NL 1959/1991 vermag den Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nicht zu rechtfertigen.
4) Eine vgA ist auch dann als Schachteldividende i.S. des Art. 13 Abs. 4 DBA NL 1959/1991 anzusehen, wenn sie in den Niederlanden keine Steuerfolgen auslöst.
5) In Fallgestaltungen, die unter den Schutz der Niederlassungsfreiheit fallen, verstoßen auch die Abzugsverbote nach § 3c EStG 1990 und § 26 Abs. 8 KStG 1991 gegen die Niederlassungsfreiheit.
Normenkette
KStG 1991 § 26 Abs. 8; AStG § 1 Abs. 1; DBA NL Art. 6 Abs. 1, Art. 13 Abs. 4; EStG § 3c; KStG 1991 § 47 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob Vermögensverlagerungen zwischen zwei niederländischen Schwestergesellschaften dazu führen, dass Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer der Gesellschaften stehen, in Deutschland ertragsteuerrechtlich vom Abzug ausgeschlossen sind.
Die Klägerin, die sich ausschließlich als geschäftsleitende Holding betätigt, ist mit einer Beteiligung von 95,37% Organträgerin der X… AG. Diese ist mit einer Beteiligung von 100% Organträgerin der X… International Beteiligungs GmbH (X.), die innerhalb des Konzerns als Holding für ausländische Beteiligungen fungiert. Das Wirtschaftsjahr der genannten Gesellschaften läuft vom 1. April bis zum 31. März.
Die X. war zu 100% an der Y… Glasverzekering N.V. (S) mit Sitz in A-Stadt (NL) (Niederlande) beteiligt, die das Glasversicherungsgeschäft betreibt. Die S hält ihrerseits alle Anteile an der Z… Glasverzekering Maatschappij N.V. (L) mit Sitz in B-Stadt (NL). Ferner ist die X. zu 100% an der X… Nederland Beheer B.V. (XNB) mit Sitz in C-Stadt (NL) beteiligt, die alle Anteile an der H. Glas B.V. (H) mit Sitz in D-Stadt (NL) (Niederlande) hält. Die H ist wiederum Holding für mehrere niederländische Glasvertriebsgesellschaften.
Die X. hatte der S Darlehen gewährt. Der Zinssatz betrug in den Jahren 1991 und 1992 zwischen 10,1% und 10,2%. Sicherheiten waren nicht vereinbart. Die Verbindlichkeiten aus diesen Darlehen sollten im Verhältnis zu den Verbindlichkeiten der S gegenüber Dritten nachrangig sein. Der Darlehensvertrag, der aus der Zeit vor 1984 stammt, kann von der Klägerin nicht mehr vorgelegt werden. Der hier dargestellte Inhalt dieses Vertrages ist zwischen den Beteiligten aber unstreitig.
Am 8. September 1992 veräußerten L und S ihre Grundstücke an die H. Als Kaufpreis wurde der jeweilige Buchwert vereinbart (insgesamt 4,195 Mio. Niederländische Gulden – NLG –). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Verkehrswerte die Buchwerte um 6,471 Mio. DM überstiegen haben; die niederländische Finanzverwaltung hat hieraus jedoch keine Konsequenzen gezogen. Die Kaufpreise wurden durch Aufrechnung mit gegenläufigen Forderungen erbracht. Anschließend beglich S ihre gegenüber Dritten bestehenden Verbindlichkeiten. Danach war sie vermögenslos und leistete keine Zahlungen mehr auf die gegenüber der X. bestehenden Verbindlichkeiten.
Am 9. September 1992 veräußerte die X. ihre Beteiligung an der S für 1 NLG an Herrn Johannes V… (V). Im Vertrag ist davon die Rede, dass es sich bei der S um einen Sanierungsfall handle. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass V im Verhältnis zu den genannten Konzernunternehmen als fremder Dritter anzusehen und der Kaufpreis angemessen ist.
Die X. nahm im Zusammenhang mit der Veräußerung ihrer Beteiligung an der S im Wirtschaftsjahr 1992/1993 die folgenden gewinnmindernden Buchungen vor:
- Ausbuchung des Buchwerts der Beteiligung (3.354.679,89 DM);
- Übernahme laufender Steuer- und Rechtsberatungskosten der S, die in den Niederlanden als Betriebsausgaben abziehbar gewesen wären (386.364 DM). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese Zahlung als verdeckte Einlage zu beurteilen ist, die den Buchwert der Beteiligung an der S hätte erhöhen müssen;
- Teilwertabschreibungen auf Darlehensforderungen (2.431.275 DM) und Zinsforderungen (298.732,50 DM) gegen die S;
- Summe: 6.471.051,39 DM.
Nach Verrechnung mit dem erhaltenen Veräußerungspreis von 1 NLG ergab sich per Saldo eine Gewinnminderung von 6.471.050 DM.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung bei der X. und der Klägerin vertrat der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Auffassung, der Betrag von 6.471.050 DM sei dem Gewinn der X. – und damit der Klägerin – nach § 1 des Außensteuergesetzes (AStG) hinzuzurechnen. Denn hätten L und S die Grundstücke zum angenommenen Verkehrswert veräußert, hätte die S über Mittel verfügt, aus denen sie die Verbindlichkeiten gegenüber der X. hätte tilgen können, so dass sich dort kein Abschreibungsbedarf ergeben hätte. Die übersteigenden Finanzmittel hätten den von der X. erzielbaren Veräu...