Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Sozialversicherungsentgeltverordnung im Steuerrecht
Leitsatz (redaktionell)
Die in der Sozialversicherungsentgeltverordnung enthaltene Möglichkeit, Unterkünfte aus Billigkeitsgründen niedriger als mit den dort geregelten Pauschbeträgen anzusetzen, findet über § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG auch im Steuerrecht Anwendung.
Normenkette
SvEV § 2 Abs. 3 S. 3; EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1; SGB IV § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; EStG § 8 Abs. 2 S. 6
Tatbestand
Streitig sind die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheides und dabei die Bewertung von Unterkünften, welche die Klägerin Saisonarbeitern zur Verfügung gestellt hat.
Die Klägerin betreibt einen […] in T. Sie beschäftigt Saisonarbeiter und stellte diesen in den Streitjahren 2013 bis 2017 insgesamt 20 Wohncontainer und 10 Wohnwagen zur Verfügung. Die Wohncontainer haben eine Wohnfläche von ca. 6 qm und verfügen über keinen Vorflur oder Windfang (vgl. Protokoll zum Besichtigungstermin am 19.09.2018). Sie sind mit einer mobilen Kochplatte, einem Kühlschrank sowie mobilen strombetriebenen Heizkörpern (vgl. Bilder in dem Rechtsbehelfsvorgang) ausgestattet. Die Wohnwagen haben eine Wohnfläche von ca. 7,5 qm und sind mit einer Küchenzeile samt Wasseranschluss und teilweise mit einem Vorzelt ausgestattet. Sie waren grundsätzlich von zwei Personen – meist Ehegatten – belegt (vgl. Schriftsatz der Klägerseite vom 06.11.2018, Bl. 8 der Gerichtsakte).
Die sanitären Anlagen waren in vier Sanitärcontainern untergebracht und von den Wohncontainern und Wohnwagen nur über den Außenbereich zu erreichen. Die Sanitärcontainer waren mit Toiletten, Duschen und Waschmaschinen bzw. Waschrinnen ausgestattet. Die Gesamtfläche der vier Sanitärcontainer betrug rund 63 qm. Die Wäsche wurde in der Regel auf Wäscheständern im Freien getrocknet.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.10.2011 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass für die Berechnung des geldwerten Vorteils aus der unentgeltlichen Unterkunftsüberlassung „neben den besonderen Umständen auf dem Betriebsgelände, auch die zum Teil sehr einfache Unterbringung auf geringer Wohnfläche, die Mehrfachbelegungen und die gemeinschaftlichen Sanitäreinrichtungen zu berücksichtigen” seien. Bisher sei von einem monatlichen Wert von 51 EUR ausgegangen worden. Zukünftig sei – im Einvernehmen mit der Klägerin – ein Wert von 71,40 EUR anzusetzen (vgl. Prüfungsbericht vom 13.01.2012, Bl. 43 ff. der Gerichtsakte).
In den Streitjahren überließ die Klägerin ihren Mitarbeitern die Unterkünfte zunächst unentgeltlich. Ab dem Jahr 2016 erfolgte die Überlassung teilweise gegen Zahlung eines Mietzinses in Höhe von monatlich 100 EUR und teilweise unentgeltlich.
Im Rahmen der Lohnsteueranmeldung für die Jahre 2013 und 2014 setzte die Klägerin monatliche geldwerte Vorteile für jeden Mitarbeiter in Höhe von 71,40 EUR sowie teilweise in anderer Höhe, beispielsweise in Höhe von 15 EUR (z.B. für J C für April 2013 bis September 2013), 75 EUR (z.B. für C U für Januar und Februar 2013) und 100 EUR (z.B. für H R für Januar 2013 bis Dezember 2013), an. Ab dem Jahr 2015 erklärte sie monatliche geldwerte Vorteile in Höhe von 100 EUR (z.B. für B B für April 2016 bis September 2016), 150 EUR (z.B. für S L für Januar 2016 bis Dezember 2016), 50 EUR (z.B. für D M für Mai 2017 bis Oktober 2017) und 15 EUR (z.B. L N für Januar 2017 bis Oktober 2017). Für Monate, in denen der jeweilige Mitarbeiter die Unterkunft nur teilweise bewohnt hatte, berücksichtigte sie den geldwerten Vorteil zeitanteilig. In den Jahren 2013 bis 2015 rechnete sie den Nettobetrag auf einen Bruttobetrag hoch und setzte den Bruttobetrag als geldwerten Vorteil an. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 1 zum Prüfungsbericht vom 29.05.2018 Bezug genommen.
Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.10.2017 durch. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die Klägerin ihren Arbeitnehmern Wohnraum verbilligt überlassen habe und dass insoweit ein geldwerter Vorteil zu erfassen sei. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes – EStG – seien die Sachbezugswerte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Sozialversicherungsentgeltverordnung – SvEV – anzusetzen. Da dieser Ansatz für das Steuerrecht zwingend sei, könne die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV keine Anwendung finden. Die Prüferin ging von folgenden Werten aus:
Jahr |
Sachbezugswert (in EUR) |
|
Einzelbelegung |
Doppelbelegung |
2013 |
216 |
129,60 |
2014 |
221 |
132,60 |
2015 |
223 |
133,80 |
2016 |
223 |
133,80 |
2017 |
223 |
133,80 |
Die Prüferin errechnete die Differenz zwischen diesen Werten und den von der Klägerin angemeldeten Werten. Dabei berücksichtigte sie nur Monate, in denen sich der jeweilige Mitarbeiter den gesamten Monat in der Unterkunft aufgehalten hatte, und nahm teilweise eine Einzel- und teilweise eine Doppelbelegung an. Monate, für die die Klägerin geldwerte Vorteile in Höhe von 15 EUR angemeldet hatte, blieben unberücksichtigt. Auch in Bez...