Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldabzweigung trotz eines Unterhaltsangebots der Eltern. Staatliches Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1) Bei der Abzweigung von Kindergeld gem. § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG an denjenigen, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewährt, ist - anders als es das FG München, Urt. v. 28.1.2003 - 12 K 1690/02, EFG 2003, 1023 meint - Voraussetzung, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nachkommt.
2) Diese Voraussetzung ist bereits dann erfüllt, wenn Unterhalt - aus welchen Gründen auch immer - tatsächlich nicht geleistet worden ist.
3) Es genügt zur Unterhaltsgewährung nicht, dass die zur Bestimmung der Art des Unterhalts nach § 1612 Abs. 2 BGB berechtigten Eltern dem Kind eine bestimmte Form des Unterhalts lediglich anbieten, die das Kind aber nicht annimmt.
Normenkette
BGB § 1612 Abs. 2; EStG § 74 Abs. 1
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob eine Abzweigungsverfügung rechtmäßig ist, nach der Kindergeld an einen Sozialleistungsträger auszuzahlen ist.
Der Kläger (Kl.) ist der Vater des am xx.yy.1982 geborenen Sohnes G. G. befand sich im Jahr 2001 in Schulausbildung. Bis einschließlich April 2001 erhielt der Kl. das Kindergeld für ihn ausbezahlt. Daneben ist noch die jüngere Tochter W., geboren xx.yy.1991, als Kind zu berücksichtigen.
Im April 2001 zog G. aus der Wohnung der Eltern aus. Durch stationäre Unterbringung im Rahmen eines teilbetreuten Wohnens für junge Volljährige wurde sein gesamter Lebensunterhalt außerhalb des Elternhauses sichergestellt, vgl. §§ 41 und 34 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). In diesem Zusammenhang war das Vormundschaftsgericht nicht eingeschaltet worden. Die Kosten der Hilfe betrugen monatlich ca. 4.500,00 DM. Sie wurden von der beigeladenen Stadt I-Stadt (Beigel.) getragen.
Mit der Verfügung vom 25.04.2001 setzte die Beigel. gegenüber dem Kl. unter Hinweis auf §§ 91 Abs. 1, 93 KJHG wegen der Unterbringung des Sohnes einen Kostenbeitrag in Höhe von monatlich 270,00 DM mit Wirkung ab dem 01.04.2001 fest. Zugleich verfügte sie die Erstattung an ihn des für den Monat April bereits gezahlten Kindergeldes. Außerdem ist in dem Bescheid u. a. folgendes ausgeführt:
„…
Für die Zukunft wird das Kindergeld direkt von der Kindergeldkasse nach hier erstattet. Sie haben insoweit keine Zahlungen zu leisten.
…”
Hiergegen erhob der Kl. Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Eine Zahlung für April 2001 hat er – soweit ersichtlich – nicht geleistet.
Ebenfalls am 25.04.2001 beantragte die Beigel. bei der Agentur für Arbeit I-Stadt – Familienkasse – die Abzweigung des Kindergeldes gem. § 74 Abs. 1 EStG. Die Agentur für Arbeit zahlte darauf hin zunächst ab Mai 2001 kein Kindergeld mehr an den Kl. für den Sohn G. aus. Den von der Beigel. außerdem geltend gemachten Erstattungsanspruch aus § 74 Abs. 5 EStG (in 2001: § 74 Abs. 3 EStG) i. V. m. § 104 SGB X lehnte die Agentur für Arbeit ab.
Am 14.09.2001 machte der Kl. bei der Agentur für Arbeit geltend, dass er seinem Sohn Unterhalt in Gestalt von Sachleistungen gewähre (kostenlose Unterkunft und Logis sowie Taschengeld). Zu einer Bestimmung von Unterhalt in dieser Weise sei er berechtigt. An diese Entscheidung sei auch die öffentliche Hand gebunden. Dagegen habe der Sohn eigenmächtig eine Unterbringung in Form des teilbetreuten Wohnens gesucht. Hiermit sei er, der Kl., aber nicht einverstanden. Ein Unterhaltsanspruch könne nur dann auf die Agentur für Arbeit übergeleitet werden, wenn dieser nicht erfüllt worden sei. Er, der Kl., habe aber diesen Anspruch erfüllt. Aus diesem Grund bestehe kein überleitungsfähiger Anspruch.
Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG nicht vor. Denn er, der Kl., sei seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nachgekommen.
Am 27.09.2001 stellte die Beigel. erneut einen Antrag auf laufende Auszahlung des anteilig auf den Sohn entfallenden Kindergeldes an sie gemäß § 74 Abs. 1 EStG, weil der Kl. nach ihrer Auffassung gerade keinen Unterhalt leiste.
Am 19.11.2001 verfügte die Agentur für Arbeit gegenüber dem Kl., dass aus dessen gesamten Kindergeldanspruch von monatlich 540,00 DM – 2 Kinder; Kindergeld jeweils in Höhe von 270,00 DM – für die Zeit ab Mai 2001 ein Betrag von 270,00 DM (= 138,05 EUR) an die Beigel. auf der Grundlage des § 74 Abs. 1 EStG abgezweigt werde. Als Begründung war angeführt, dass der Kl. seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Sohn G. nicht nachgekommen sei. Die Abzweigung in dieser Höhe sei deswegen angemessen, weil das Kindergeld insoweit für den Kindesunterhalt bestimmt sei. Für den Zeitraum Mai bis Oktober – 6 Monate – errechnete sie eine Nachzahlung von 1.620,00 DM (= 828,29 EUR), die an die Beigel. ausgezahlt wurde.
Hiergegen legte der Kl. am 28.11.2001 (Eingangsstempel) Einspruch ein.
Am 29.11.2001 teilte die Beigel. mit, dass sie ihren Auszahlungsanspruch ab 01.11.2001 zurücknehme, da die Jugendhilfemaßnahme zum 31.10.2001 beendet worden sei.
Auf Grund eines neuerlichen Antrags setzte die Agentur für Arbeit mit Besche...