Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wirksamkeit einer Aufrechnung
Leitsatz (redaktionell)
Der Schuldner kann eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch gegenüber dem neuen Gläubiger aufrechnen, es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist.
Normenkette
EStG § 36 Abs. 4 S. 2; AO § 220 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 397, 406
Tatbestand
Streitig ist die Wirksamkeit einer Aufrechnung.
Der Kläger ist der Steuerberater des Steuerpflichtigen H. K. (kurz H. K.) aus A. Der Steuerpflichtige trat am 4. 11. 1996 seine Erstattungsansprüche wegen Einkommensteuer und Solidaritätszuschlags für 1995 und am 2. 1. 1997 seine Ansprüche für 1996 an den Kläger ab.
Mit Bescheiden vom 15. 2. 1999 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 1995 auf 18.438 DM und für 1996 auf 0 DM fest. Unter Berücksichtigung der einbehaltenen Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags ergaben sich Erstattungen i. H. v. 73.824,45 DM für 1995 bzw. 65.384,63 DM für 1996.
Mit Schreiben vom 18. 2. 1999 teilte das Finanzamt dem Kläger mit, daß es gegen die genannten Erstattungsforderungen mit Teilbeträgen aus einer Einkommensteuernachzahlung des H. K. für 1990, fällig am 3. 11. 1997, in der o. g. Höhe aufrechne, wodurch die Forderungen des Klägers erloschen seien.
Auf den Antrag des Klägers vom 3. 3. 1999 erteilte das Finanzamt mit Datum vom 17. 4. 1999 einen Abrechnungsbescheid mit folgendem Tenor:
„Die Erstattungsansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 1995 und 1996 sind durch die Aufrechnungserklärungen vom 18. 2. 1999 erloschen. Die vorliegenden Abtretungen aus der Einkommensteuerveranlagung 1995 vom 4. 11. 1996 und der Ansprüche aus der Einkommensteuerveranlagung 1996 vom 2. 1. 1997 verhindern die erklärten Aufrechnungen nicht. Eine Auszahlung der strittigen Beträge an den Abtretungsempfänger kann nicht erfolgen.“
Den Einspruch des Klägers wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 8. 10. 1999 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und im wesentlichen vorgetragen:
Die Aufrechnung sei unwirksam. Das Finanzamt verwechsle die Begriffe Entstehung und Fälligkeit der streitgegenständlichen Forderungen. Die Einkommensteuerschuld 1990 sei gem. § 38 AO mit Ablauf des Jahres 1990 entstanden.
Der Einkommensteuer-Erstattungsanspruch sei ebenso mit Ablauf der Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 entstanden, und zwar in der Höhe, in der die Summe der Vorauszahlungen die materiell geschuldete Steuer übersteige.
Die Zulässigkeit der hier streitigen Aufrechnungen nach § 406 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - 3. Alternative hänge aber nicht vom Entstehungszeitpunkt der Forderungen, sondern von deren Fälligkeit ab. Dem Finanzamt sei die Aufrechnung verwehrt, wenn die erworbene Forderung erst nach Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden sei.
Das Finanzamt habe die Steuernachzahlungsforderung für 1990 mit Ablauf des Jahres 1990 erworben, d. h. vor der Abtretung des Erstattungsanspruchs an den Kläger. Die erworbene Forderung müsse aber vor der abgetretenen Forderung fällig gewesen sein, was erst mit dem Bescheid vom 3. 11. 1997 geschehen sei.
Somit sei entscheidend, wann die abgetretenen Forderungen fällig geworden seien. Für die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs fehle eine gesetzliche Regelung. In diesen Fällen werde daher der Anspruch mit seiner Entstehung fällig, d. h. mit Ablauf der Jahre 1995 bzw. 1996. Beide Termine lägen vor dem 3. 11. 1997. Vor der Abtretung an den Kläger hätten keine aufrechenbaren Forderungen zwischen dem Steuerpflichtigen K. und dem Finanzamt gegenübergestanden. Die Auffassung des Finanzamts laufe darauf hinaus, daß man durch verzögerte Begleichung fälliger Verbindlichkeiten eine (zukünftige) Aufrechnungslage schaffen könne; dies sei jedoch nach § 406 BGB nicht zulässig. Im übrigen werde auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Hinweis auf BFH/NV 1991, 791) verwiesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 17. 3. 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. 10. 1999 aufzuheben und das Finanzamt zu verurteilen, die abgetretenen Steuererstattungsbeträge i. H. v. 73.824,45 DM (ESt 1995) und 65.384,63 DM (ESt 1996) auszuzahlen.,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat im wesentlichen unter Verweisung auf die Einspruchsentscheidung ausgeführt:
Der Kläger verkenne die Wirkung von § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG. Diese Vorschrift regle die Fälligkeit eines Einkommensteuer-Erstattungsanspruchs. Die Vorschrift des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO gelte nur für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die ohne Festsetzung entstünden, wie z. B. Säumniszuschläge.
Im übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 397 BGB vor; insbesondere sei die Forderung des Finanzamts, mit der aufgerechnet worden sei (ESt-Nachforderung 1990), mindestens seit 3. 11. 1997 fällig...