Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Freiwilligendienst im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes keine Berufsausbildung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: III R 12/24)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Freiwilligendienst im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ist grundsätzlich keine Berufsausbildung, da er in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl dient.
2. Auch eine im Rahmen des Freiwilligendienstes absolvierte nur knapp 6 Monate dauernde Qualifikation zum Rettungssanitäter gemäß der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) ist bei der vom Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Verhältnisse keine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, da sie durch die Erlangung sozialer Erfahrungen überlagert wird und dem sich aus dem Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG) ergebenden Förderungszweck widersprechen würde.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 6, § 32 Abs. 4 Sätze 2-3
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für B (geb.: 26.11.1998) für den Zeitraum von Januar 2022 bis März 2022.
B schloss ihre Schulzeit mit der Ablegung des Abiturs im Juni 2017 ab.
Vom 04.10.2017 bis 30.05.2018 leistete sie einen Bundesfreiwilligendienst in einer Rettungsdiensteinrichtung ab und absolvierte hierbei von Oktober 2017 bis März 2018 eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Auf die Bescheinigung über die Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst und auf das Zeugnis über die abgelegte Prüfung zur Rettungssanitäterin vom 17.03.2018 wird verwiesen.
Ab dem 01.06.2018 stand sie in einem Arbeitsverhältnis als Rettungssanitäterin bei der Rettungsdiensteinrichtung. Die Arbeitszeit betrug zeitweise unter 20 Stunden, teilweise 40,5 Stunden in der Woche.
Im Wintersemester 2018/2019 war B an der Universität 1 im Studiengang "Betriebswirtschaft" immatrikuliert.
Seit dem 15.03.2019 ist B im Studiengang "Soziale Arbeit" an der Hochschule 1 in A-Stadt immatrikuliert.
Die Familienkasse gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 27.03.2019 Kindergeld für B ab April 2019.
Mit Schreiben vom 12.02.2022 übersandte die Klägerin einen mit Wirkung ab 01.01.2022 geänderten Arbeitsvertrag für B bei der Rettungsdiensteinrichtung als Rettungssanitäterin. Die Arbeitszeit beträgt demnach 30 Stunden in der Woche.
Mit Bescheid vom 04.04.2022 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind B für den Zeitraum von Januar 2022 bis März 2022 auf und forderte das für den Zeitraum von Januar 2022 bis einschließlich März 2022 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 657 € zurück.
Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht vorliegen würden. B habe die erste Berufsausbildung bzw. das Erststudium abgeschlossen. Sie habe die für das angestrebte Berufsziel erforderliche Ausbildung mit dem ersten erlangten Abschluss beendet. Aktuell befinde sie sich in einer weiteren Berufsausbildung. Daneben gehe sie einer Erwerbstätigkeit nach und könne daher nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht berücksichtigt werden.
Der frühere Verfahrensbevollmächtigte erhob für die Klägerin Einspruch.
Es wurde vorgetragen, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter in der Bayerischen Rettungssanitäterverordnung (BayRettSanV) geregelt sei und nach § 2 eine Ausbildung von 520 Stunden zu je 45 Minuten umfasse. Er legte eine Bescheinigung der Rettungsdiensteinrichtung vom 01.03.2022 vor, wonach es sich bei dem Beruf als "Rettungssanitäter" um keinen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handele.
Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2022 als unbegründet zurück.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 nur berücksichtigt werde, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG seien eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i. S. d. §§ 8 und8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch unschädlich.
Im Streitfall habe das Kind eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen, da es eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin erfolgreich absolviert habe. Zwar studiere B seit März 2019 im Studiengang "Soziale Arbeit". Sie arbeite aber als Rettungssanitäterin und gehe seit 01.01.2022 einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Stunden nach. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe daher für den Streitzeitraum nicht.
Im Streitfall sei die Regelung des § 9 Abs. 6 EStG nicht anzuwenden. Zwar enthalte § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG eine Definition einer Erstausbildung. Diese beziehe sich aber explizit auf eine Erstausbildung im Rahmen des Satzes 1. Mit § 9 Abs. 6 EStG werde damit geregelt, wann im Rahmen ein...