Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wegzugsbesteuerung bei Sitz- und Geschäftsleitungsverlegung einer SE in einen anderen EU-Mitgliedstaat
Leitsatz (amtlich)
Die Sofortbesteuerung stiller Reserven bei einer grenzüberschreitenden Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer SE nach Österreich im Zeitpunkt des Wegzugs unterliegt vor dem Hintergrund europarechtlicher Primärrechtsnormen jedenfalls im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung erheblichen Bedenken.
Normenkette
AEUV Art. 49, 54; KStG §§ 11, 12 Abs. 1, 3, § 8b Abs. 2-3; AStG § 6 Abs. 5, § 6 Abs. 1
Tatbestand
I.
Streitig sind die ertragsteuerlichen Folgen einer grenzüberschreitenden Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer SE nach Österreich.
Die Antragstellerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft. Unternehmensgegenstand im Inland (X) war die Beteiligungsverwaltung (Beteiligung an der ... Holdings BV) und der Betrieb eines "Family Office". Mit Datum vom 07. Februar 2007 reichte die Antragstellerin dem Firmengericht in Y, Österreich die Sitzverlegung innerhalb der EU zur Eintragung im Firmenbuch Y ein, die Eintragung erfolgte am 08. Februar 2007. Sodann wurde die Eintragung der Antragstellerin im Handelsregister X gelöscht, am Ort des bisherigen Sitzes und der Geschäftsleitung verblieb nichts zurück.
In der der Körperschaftsteuererklärung für das Rumpf-Wirtschaftsjahr 01.01.-07.02.2007 beigefügten Steuerbilanz führte die Antragstellerin folgendes aus (Bl. 25 KSt-Akten):
" ... nach § 12 Abs. 1 KStG soll die Sitzverlegung die Aufdeckung der in den Wirtschaftsgütern befindlichen stillen Reserven zur Folge haben. Diese Vorschrift verstößt nach Auffassung der Steuerpflichtigen gegen die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU und ist damit als EU-rechtswidrig anzusehen. Der Vorgang wurde daher wie folgt in der Steuerbilanz abgebildet:
Die Wirtschaftsgüter wurden in der Steuerbilanz zum 07.02.2007 zu Dokumentationszwecken mit ihren gemeinen Werten angesetzt. In Höhe des sich daraus ergebenden Ertrags wurde ergebniswirksam ein steuerlicher Ausgleichsposten gebildet, sodass sich der Vorgang ergebnisneutral darstellt. Es ist klarzustellen, dass es sich bei der gebildeten Position um keinen Ausgleichsposten i.S. von § 4g EStG handelt. Ziel der Vorgehensweise ist es, den Vorgang in der Steuererklärung durch Ansatz der gemeinen Werte transparent darzustellen und den aus Ansatz des gemeinen Wertes resultierenden Betrag zu dokumentieren, jedoch die Ergebniswirkung aufgrund der EU-Rechtswidrigkeit von § 12 Abs. 1 KStG zu eliminieren.
Steuerliche Buchwerte zum 07.02.2007: |
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Beteiligung an der ... Holdings BV |
3.151.883.369,17 |
Pensionsrückstellung |
3.164.587,00 |
Gemeine Werte zum 07.02.2007: |
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Beteiligung an der ... Holdings BV |
4.226.183.741,17 |
Pensionsrückstellung |
9.175.891,05 |
Ertrag aus der Aufdeckung stiller Reserven |
1.068.289.067,95 |
Aufwand aus der Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens |
- 1.068.289.067,95." |
Der Antragsgegner folgte dieser Sachbehandlung im Bescheid über Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2007 vom 19. November 2008 nicht. Nach der dem Bescheid beigefügten Anlage ging er von einem Anwendungsfall des § 12 Abs. 1 KStG aus. Danach werde eine Veräußerung der von der Antragstellerin gehaltenen Beteiligung an der ... Holdings BV fingiert. Auf den Entstrickungsgewinn sei § 8b Abs. 2 KStG anzuwenden, allerdings mit der Folge der Versteuerung von 5% nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Daher sei von einem vorläufigen Entstrickungsgewinn iHv 1.068.289.067 Euro auszugehen, von dem 53.414.453 Euro (=5%) zu versteuern seien.
Über den hiergegen erhobenen Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids ohne Sicherheitsleistung hat er mit Schreiben vom 12. Februar 2009 (Bl. 22 f Rechtsbehelfsakten) und 30. November 2009 (Bl. 65 ff Rechtsbehelfsakten) abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin Einspruch erhoben.
Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2010 hat die Antragstellerin bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids beantragt. Streitig sei nicht das Besteuerungsrecht für im Inland erwirtschaftete Wertzuwächse als solches. Es lägen aber gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sprechende Gründe dahingehend vor, dass deren sofortige Besteuerung bereits im Zeitpunkt der Sitzverlegung ohne ein Realisationsgeschäft nicht mit den europarechtlichen Grundfreiheiten in Einklang stehe. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland als Reaktion auf ein von der Kommission geführtes Vertragsverletzungsverfahrens (Nr. 1999/4371) die Norm des § 6 AStG dahingehend geändert habe, dass im Wegzugsfall innerhalb der EU/EWR eine Steuerfestsetzung bei gleichzeitiger zinsloser Stundung der fälligen Steuer auf die Wertzuwächse erfolge.
Es sei bereits zweifelhaft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG erfüllt seien. Der BFH habe unter Aufgabe der Theorien zur finalen ...