Entscheidungsstichwort (Thema)

Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze

 

Leitsatz (amtlich)

§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d. Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 ist veranlagungszeitraumbezogen auszulegen.

§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG findet nur dann Anwendung, wenn der Wertzuwachs in den Zeiträumen vor dem Realisationszeitraum muss steuerbar gewesen ist, also der Einkommensteuer unterlag. Dies ist nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige in qualifizierter Weise an der Kapitalgesellschaft beteiligt war, die sog. latente Verstrickung also irgendwann einmal aktuell geworden war. Die latente Verstrickung konnte jedoch nicht eintreten, wenn der Steuerpflichtige während des Zuwachses an Leistungsfähigkeit nach der jeweils gültigen Fassung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG niemals wesentlich beteiligt war.

 

Normenkette

EStG § 17 Abs. 1, § 52 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG.

Der Kläger hielt bis zum 27. März 1995 einen Geschäftsanteil von 33,33 % an der B Steuerberatungsgesellschaft mbH (nachfolgend kurz: B GmbH). Nach der Aufnahme weiterer Gesellschafter und der Erhöhung des Stammkapitals hielt der Kläger vom 27. März 1995 bis zum 22. Dezember 1998 einen Geschäftsanteil von 10 % an der B GmbH. Am 22. Dezember 1998 veräußerte er einen Teilgeschäftsanteil von 5 % und war infolgedessen nur noch in Höhe von 5 % an der B GmbH beteiligt. Mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Dezember 2001 veräußerte er seinen verbleibenden Geschäftsanteil von 5 % an Herrn Z zu einem Kaufpreis von 90.000,00 DM.

In ihrer am 8. November 2002 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2001 erklärten die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung des Geschäftsanteils am 20. Dezember 2001 gemäß § 17 EStG in Höhe von 80.943,00 DM, wobei sie der Berechnung des Veräußerungsgewinns Anschaffungskosten in Höhe von 9.057 DM zugrunde legten. In einer Anlage zur Einkommensteuererklärung vertraten sie die Rechtsauffassung, dass der Veräußerungsgewinn nicht gemäß § 17 EStG steuerpflichtig sei, weil die vom Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 1. Januar 1999 eingeführte Absenkung der sog. Wesentlichkeitsgrenze von „mehr als 25 %“ auf „mindestens 10 %“ eine verfassungsrechtlich unzulässige Gesetzesrückwirkung bedeute.

Im Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 9. Januar 2003 folgte der Beklagte dem nicht und legte der Besteuerung der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 80.943,00 DM zugrunde.

Hiergegen legten die Kläger am 30. Januar 2003 Einspruch ein. Zur Begründung trugen sie unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Juli 2010 im Wesentlichen vor, die in einem Veräußerungsgewinn enthaltenen Wertsteigerungen, die bis zum 31. März 1999 – dem Tag der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 – entstanden seien und entweder bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei veräußert worden seien oder nach dem 31. März 1999 sowohl im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können, unterlägen nicht der Besteuerung nach § 17 EStG. Der bei der Anteilsveräußerung vom 20. Dezember 2001 realisierte Veräußerungsgewinn müsse daher mit dem Anteil, der bis zum 31. März 1999 entstanden sei, steuerfrei bleiben. Da die Wertsteigerung des Anteils bis zum 31. März 1999 mit rd. 96.000,00 DM anzusetzen sei, bleibe der in 2001 realisierte Veräußerungsgewinn in vollem Umfang steuerfrei.

Mit Einkommensteuerbescheiden für 2001 vom 11. Februar 2003 bzw. vom 12. Oktober 2011 änderte der Beklagte die Steuerfestsetzung wegen hier nicht streitbefangener Punkte. Die Änderungsbescheide wurden gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2011 als unbegründet zurück.

Mit ihrer am 10. November 2011 bei Gericht eingegangenen Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor, der Beklagte habe den Veräußerungsgewinn in Höhe von 80.943,00 DM unter Missachtung der Entscheidung des BVerfG vom 7. Juli 2010 (BStBl II 2011, 86) zu Unrecht der Einkommensteuer unterworfen. Die erste Fallkonstellation der BVerfG-Entscheidung sei mit der hier in Streit stehenden Konstellation vergleichbar, da auch der Kläger zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht mehr wesentlich beteiligt gewesen sei. Soweit § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ein retrospektives Tatbestandsmerkmal enthalte und für die Frage der maßgeblichen Beteiligungshöhe auf die letzten 5 Jahre abstelle, ergebe sich nichts anderes; denn das BVerfG habe ja gerade klargestellt, dass die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze insoweit verfassungswidrig gewesen sei. Wegen des weiteren Vortrags der Kläger zur Anwendbarkeit und den Folgen des Beschlusses des BVerfG vom 7. Juli 2010 wird auf die Ausführungen in der Klagebegründung sow...

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