A. Rechtsanwendung im Erbrecht
I. Die EU-Erbrechtsverordnung
Rz. 1
Das erbrechtliche Kollisionsrecht in Finnland (außer im Verhältnis zu den nordischen Staaten) entbehrte bis zum Jahr 2002 einer gesetzlichen Grundlage. Eine Kodifikation des allgemeinen Kollisionsrechts gab es nicht. Zum 1.3.2002 ist ein Gesetz zur Reform von internationalprivatrechtlichen Vorschriften des Ehe- und Erbrechts in Kraft getreten und fügt nunmehr ein 26. Kapitel in das allgemeine Erbrechtsgesetz (perintökaari – im Folgenden: PK) ein und behandelt dort ausführlich das erbrechtliche Kollisionsrecht. Die Bestimmungen lehnen sich an die Nordische Nachlasskonvention von 1934 und das Haager Erbrechtsübereinkommen von 1989 an. Literatur sowie Rechtsprechung zu diesem erstmals kodifizierten Kollisionsrecht sind in finnischer Sprache nur spärlich vorhanden.
Rz. 2
Seit dem 17.8.2015 findet die EuErbVO Anwendung und verdrängt insoweit im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (außer Dänemark und Irland) die meisten der im 26. Kapitel getroffenen Regelungen. Die diesbezügliche Durchführungsverordnung trat am 17.7.2015 in Kraft. Im Verhältnis zu den Staaten der Nordischen Nachlasskonvention gilt für verfahrensrechtliche Aspekte der Nachlassverwaltung und die beschleunigte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Erbsachen weiterhin diese Konvention. Die aktuelle finnische Literatur beschäftigt sich bisher nur spärlich mit diesem Thema, während es an einführenden Erläuterungen nicht mangelt. Vorlageverfahren zum EuGH gab es aus Finnland bisher nicht.
Rz. 3
Finnland ist Vertragsstaat des Haager Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5.10.1961.
Dem finnischen materiellen Recht ist der Erbvertrag als Institut unbekannt. Für Erbverträge nicht-finnischen Rechts gilt gem. PK 26:1 unwandelbar das Recht am Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags. Es wird bewusst auf eine Anknüpfung an das Erbstatut verzichtet, um zu verhindern, dass der Erbvertrag aufgrund eines Wechsels des Erbstatuts unwirksam wird.
Rz. 4
Gefestigte Rechtsprechung zur EuErbVO gibt es noch nicht. In einem Urteil vom 17.1.2019 hat sich das zweitinstanzliche Gericht in Helsinki mit der Frage des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Rahmen der Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO auseinandergesetzt: Der Erblasser verstarb in Italien. Das Gericht entschied im Rahmen einer Gesamtschau, dass der Erblasser seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" in Italien hatte, obwohl der er auch in Finnland noch über eine Immobilie als geplantes Altenteil verfügte und viele Sommer in Finnland verbrachte. Für Italien sprach, dass er Jahrzehnte in Italien gearbeitet hatte, dort sein Familienleben aufgebaut hatte sowie Italienisch wie ein gebürtiger Italiener sprach und zu Verwandten und Freunden in Finnland aus eigenem Antrieb keinen Kontakt mehr hielt.
Rz. 5
Die Zuständigkeit für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses lag zunächst bei der "Maistraatti"-Behörde. Diese Behörde wurde zum 1.1.2020 mit dem zentralistischen Bevölkerungsregister zur "digital and data population agency" zusammengeschlossen. Auf der Internetpräsenz dieser Behörde ist betreffend der Beantragung des Nachlasszeugnisses auch englischsprachig eine Erläuterung vorhanden, wie das Europäische Nachlasszeugnis in Finnland beantragt werden kann. Der Antrag kann schriftlich oder per E-Mail eingereicht werden. Das Nachlasszeugnis wird wahlweise auf Finnisch oder Schwedisch erteilt. Die Kosten für die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses liegen bei pauschal 160 EUR, eine Verlängerung oder die Übersendung einer weiteren beglaubigten Abschrift kosten 27 EUR. Bei der Abwicklung eines deutsch-finnischen Erbfalls ist die Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses in Finnland deutlich einfacher als im umgekehrten Fall, also bei Zuständigkeit eines deutschen Gerichtes.
Rz. 6
Nachfolgende Ausführungen (Rdn 7 ff.) gelten uneingeschränkt nur im Verhältnis Finnlands zu EU-Drittstaaten. Im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark und Irland findet auf Erbfälle ab dem 17.8.2015 vorrangig die EuErbVO Anwendung.
II. Altfälle
1. Erbstatut: Objektive Bestimmung des Erbstatuts
Rz. 7
Vor dem Inkrafttreten der Ko...