Leitsatz
Ein mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Pfändungsschuldners schwebend unwirksam gewordenes Pfändungspfandrecht lebt dann, wenn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben worden ist, mit der Freigabe der gepfändeten Forderung oder mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder auf, ohne dass es einer erneuten Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner bedarf.
BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – IX ZR 210/19
1 I. Der Fall
Pfändung und nachfolgende Insolvenz und ihr Ende
Der frühere Beklagte wurde im Jahre 2004 in Frankreich zur Zahlung von 250.000 EUR und weiteren 10.000 EUR an die Klägerin verurteilt. Er hatte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil wurde für im Inland vollstreckbar erklärt. In der Folge beantragte die Klägerin einen die Ansprüche des Beklagten aus einer Lebensversicherung betreffenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB). Ein entsprechender Beschluss wurde erlassen und dem Versicherer zugestellt. In der Folge beantragte der Beklagte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen.
Die Forderung aus dem Urteil wurde zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Treuhänderin gab die Ansprüche aus der Lebensversicherung frei. Die von der Klägerin ausgebrachte Pfändung dieser Ansprüche hielt die Treuhänderin im Hinblick auf § 88 InsO für wirkungslos. Das Insolvenzverfahren wurde 2011 aufgehoben. 2013 wurde dem Beklagten Restschuldbefreiung erteilt.
Wann muss die gepfändete Forderung ausgezahlt werden?
2015 endete die Versicherungsdauer der stets fortgeführten Lebensversicherung des Beklagten. 2016 und nochmals 2017 trat der Beklagte seine Ansprüche aus der Lebensversicherung an die Beklagte zu 2) ab. Die Beklagte zu 2) klagte als Pfandgläubigerin und aus abgetretenem Recht des Beklagten gegen den Versicherer auf Auszahlung der Versicherungssumme. Die Klage hatte Erfolg, soweit sie auf die Abtretung gestützt worden war. Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin die beiden Beklagten zunächst auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die Lebensversicherung in Anspruch genommen. Hilfsweise hat sie beantragt, beide Beklagte zu verurteilen, als Gesamtschuldner 87.514 EUR an sie zu zahlen. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
2 II. Aus der Entscheidung
Der BGH gibt der Gläubigerin Recht
Grundlage des Begehrens der Klägerin ist § 816 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet, wenn an ihn eine Leistung bewirkt worden ist, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts hier erfüllt. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Versicherungssumme an die Beklagte zu 2) ausgezahlt worden.
Der Klägerin stand aufgrund der am 2006 gemäß § 829 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 ZPO durch Zustellung an den Versicherer wirksam gewordenen Pfändung ein Pfändungspfandrecht am Anspruch auf die Ablaufleistung zu, welches etwaigen Rechten der Beklagten zu 2 hieran vorging.
Wirksame Pfändung vor Insolvenz
Die Klägerin hat die Ansprüche des Beklagten aus der Lebensversicherung gemäß §§ 829, 835 ZPO wirksam gepfändet. Gemäß § 829 Abs. 3 ZPO ist die Pfändung mit Zustellung des PfÜB an den Versicherer wirksam geworden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat dieses Pfändungspfandrecht mit der Freigabe der gepfändeten Forderung durch die Treuhänderin wieder volle Wirksamkeit erlangt, ohne dass eine erneute Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erforderlich gewesen wäre.
§ 88 InsO steht dem nicht entgegen
Nach § 88 InsO (Fassung 1994) wird eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag durch Zwangsvollstreckung erlangt hat. Wie sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, gilt die Unwirksamkeit nicht nur im Verhältnis zu den übrigen Insolvenzgläubigern, sondern absolut (vgl. BGHZ 166, 74 Rn. 10 ff.; BGH WM 2017, 2037). Die Unwirksamkeit ist jedoch schwebend, gilt also nur so lange, wie dies für die Zwecke des Insolvenzverfahrens erforderlich ist. Sie erfasst die materiell-rechtliche Wirkung der Pfändung, mithin das Pfändungspfandrecht, nicht die Verstrickung.
InsO lässt Vollstreckung unberührt
Die Verstrickung besteht fort, wenn die sie begründende Vollstreckungshandlung nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben wird. Dies folgt zum einen aus § 836 Abs. 2 ZPO. Gemäß § 836 Abs. 2 ZPO gilt der Überweisungsbeschluss, auch wenn er zu Unrecht erlassen worden ist, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Dies ist zum Schutz des Drittschuldners auch im Insolvenzverfahren erforderlich, weil die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Vollstreckungsmaßnahme eines einzelnen Insolvenzgläubigers und eine Vollst...