Eigenbedarf und dessen Deckung stehen im Zentrum der Abwägung

Die nach § 793 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Antrag der Gläubigerin anzuordnen, das Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens jeweils zur Hälfte unberücksichtigt zu lassen, ist berechtigt.

Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO [Anm.: nunmehr § 850c Abs. 6 ZPO] kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Schon nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift alle Arten von Einkünften. Sie will die Berücksichtigung des Berechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten, wobei das Gericht in seine Erwägungen den Lebensbedarf einzubeziehen hat, der aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist. Es ist zu prüfen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist. Deshalb sind Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, als eigene Einkünfte i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO] zu berücksichtigen. Geld, das der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht, verringert seinen Bedarf und entlastet den zum Unterhalt verpflichteten Schuldner (BGH v. 16.4.2015 – IX ZB 41/14; BGH v. 19.12.2019 – IX ZB 83/18).

Es kommt auf die Betrachtung des Einzelfalles an

Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO] widerspräche (BGH Rpfleger 2005, 371; BGH Rpfleger 2005, 201).

Nach diesen Maßstäben hat das Kind der Schuldnerin eigene Einkünfte i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO [§ 850c Abs. 6 ZPO], da ihm gegen den Kindsvater ein eigener Unterhaltsanspruch zusteht. Die eigenen Einkünfte führen dazu, dass der Schuldnerin insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf der Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.5.2009 – IX ZB 211/08, juris; Beschl. v. 5.4.2005, a.a.O.).

Sekundäre Darlegungs- und Beweislast

Grundsätzlich muss zwar der Gläubiger, der einen entsprechenden Antrag stellt, zu den maßgeblichen Verhältnissen (Einkommen des Unterhaltsschuldners – vorliegend also des Vaters –, Einkommen des Kindes in Form von Unterhaltsleistungen) vortragen. Es ist jedoch anerkannt, dass – da der Gläubiger über diese Informationen in der Regel nicht im Detail verfügen kann – es dem Schuldner obliegt, zu den maßgeblichen Verhältnissen nähere Angaben zu machen (vgl. Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn C.276).

Ohne Angaben ist Leistungsbezug nach SGB II zu unterstellen

Da es vorliegend mangels Reaktion der Schuldnerin jedoch keine Angaben zu dem Einkommen des Kindsvaters gibt, ist davon auszugehen, dass er mindestens den Regelsatz gemäß SGB II nebst Leistungen für Unterkunft und Heizung bezieht (vgl. AG Bernkastel-Kues, Beschl. v. 28.1.2020 – 6a M 855/19). Dem Kindsvater wird somit unterstellt, dass er den Regelsatz gem. SGB II bzw. XI i.H.v. 432,00 EUR [Anm.: jetzt 449 EUR, ab dem 1.10.2023 dann 502 EUR] sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung (angemessene Kosten dafür dürften sich auf min. 500 EUR beziffern lassen) bezieht (vgl. AG Straubing, Beschl. v. 6.8.2020 – 1 M 733/20, juris).

Beide Eltern sind unterhaltspflichtig

Weiter ist im Grundsatz davon auszugehen, dass die Eltern dem Kind in gleichem Maße unterhaltspflichtig sind (vgl. § 1606 Abs. 3 BGB). Die in diesem Verfahren zu unterstellenden Einkommensverhältnisse des Vaters rechtfertigen im Vergleich zu denjenigen der Schuldnerin auch vorliegend diese Annahme. Da die Schuldnerin die Steuerklasse II hat, ist weiter davon auszugehen, dass ihr Sohn bei ihr lebt und sie ihm Naturalunterhalt gewährt.

Unterhaltsgewährung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz

Im vorliegenden Vollstreckungsverfahren ist davon auszugehen, dass der Unterhaltsbedarf des Kindes etwa zur Hälfte durch Unterhaltsleistungen des Kindsvaters oder durch Unterhaltsvorschussleistungen durch die insoweit zuständige Stelle sichergestellt wird mit der Folge, dass er bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens der Schuldnerin nur teilweise zu berücksichtigen ist (vgl. auch LG Berlin, Beschl. v. 21.6.2019 – 84 T 104/19, juris). Auch erscheint die durch die Gläubigerin begehrte hälftige Nichtberücksichtigung des unterhaltsberechtigten Kindes bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens angemessen (vgl. auch ...

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