Anerkennung und Vollstreckung von Titeln in der EU
In FoVo 2010, 224 ff. haben wir über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem EuGVÜ und Lugano-Übereinkommen berichtet. Innerhalb der europäischen Union sind allerdings weitere Verordnungen zu beachten, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
Prüfen: Richtiger Zeitpunkt
Bei der Anwendung der jeweiligen Verordnungen muss immer beachtet werden, dass für die anzuwendende Fassung des jeweiligen Übereinkommens/der jeweiligen Verordnung das Datum der Entscheidung sowie das Land, in dem die Entscheidung anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden soll, und letzten Endes der Inhalt der jeweiligen Entscheidung maßgeblich sind. Zum 1.3.2002 trat die Verordnung (EG) Nr. 44/2001, die sogenannte Brüssel-I-Verordnung, auch EuGVVO bzw. EuGVO genannt, in Kraft.
▪ |
Seit dem 1.3.2002 in: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Vereinigtes Königreich. |
▪ |
Seit dem 1.5.2004 in: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. |
▪ |
Seit dem 1.1.2007 in: Rumänien und Bulgarien. |
▪ |
Seit dem 1.7.2007 ist die EuGVO aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages (Abkommen vom 19.10.2005, ABl L 300 vom 17.11.2005, S. 55 und ABl L 94 vom 4.4.2007, S. 70) auch für und im Verhältnis zu Dänemark anwendbar (Anm. § 1 EuGVO). |
Übergangsregelungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen ergeben sich aus Art. 66 EuGVO. Nach Art. 66 Abs. 1 EuGVO wird die Verordnung nur auf solche Klagen und öffentliche Urkunden angewandt, die erhoben bzw. aufgenommen worden sind, nachdem die EuGVO in Kraft getreten ist. Allerdings ergeben sich bei neuen Mitgliedsstaaten intertemporale Fragen, wenn z. B. ein Urteil vor dem Wirksamwerden des Beitritts erlassen wurde. Diese werden durch Art. 66 Abs. 2 EuGVO gelöst.
Ein deutsches Urteil vom 5.10.2003 soll am 7.1.2011 in der Tschechischen Republik anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden.
Die Tschechische Republik ist am 1.5.2004 der EU beigetreten. Daher gilt seit diesem Datum dort auch die EuGVO. Eine Anpassung der vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte erfolgt nach Maßgabe des Anhangs II zur Beitrittsakte. Die Regelungen der Art. 32 ff. EuGVO (also die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen) sind somit nur auf Entscheidungen anwendbar, die nach dem 1.5.2004 ergangen sind. Die Übergangsvorschrift des Art. 66 Abs. 2 lit. a EuGVO ist nicht anwendbar, da die Tschechische Republik vor Inkrafttreten der EuGVO nicht Vertragspartner des EuGVÜ oder LugÜ war.
Eine Ausnahme bzw. eine Anwendbarkeit der Art. 32 ff. EuGVO würde sich gem. Art. 66 Abs. 2 lit. b EuGVO nur ergeben, wenn das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der EuGVO übereinstimmen. Somit müsste die Deutsche Entscheidung vom 5.10.2003 dahingehend überprüft werden, ob das deutsche Erlassgericht auch aufgrund einer Vorschrift des Kapitels II der EuGVO zuständig gewesen wäre, um eine Anerkennung und Vollstreckung in der Tschechischen Republik zu erhalten.
Der Regelungsinhalt der EuGVO
In der EuGVO wird ebenso wie im revidierten Lugano-Übereinkommen insbesondere die internationale Zuständigkeit der Gerichte im Erkenntnisverfahren sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Urkunden aus anderen Mitgliedsstaaten geregelt. Bei dieser Verordnung handelt es sich um einen für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Rechtsakt des Gemeinschaftsgesetzgebers.
Sachlicher Anwendungsbereich
Der sachliche Anwendungsbereich ergibt sich aus Art. 1 EuGVO und ist deckungsgleich mit dem des EuGVÜ. Umfasst sind also Zivil- und Handelssachen. Art. 33 EuGVO entspricht inhaltlich Art. 26 EuGVÜ und wiederholt den Grundsatz, dass innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ergangene Entscheidungen von Rechts wegen anzuerkennen sind. In Art. 32 EuGVO ist erneut der Begriff "Entscheidung" definiert: "Unter ‘Entscheidung’ im Sinne dieser Verordnung ist jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten."
Sonderfall: Der Prozessvergleich
Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden fallen zwar nicht unter den Art. 32 EuGVO, die Vollstreckung (Vollstreckbarerklärung) kann jedoch über Art. 57 f. EuGVO erfolgen.
Auch die EuGVVO enthält Versagungsgründe für die Anerkennung eines Titels in einem anderen Mitgliedsstaat. Diese Versagungsgründe sind in Art. 34 und 35 festgehalten. Auch hier kommt bei der Versagung in der Praxis wieder Art. 34 Nr. 2 EuGVO besondere Bedeutung zu: "2. dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verf...