BGH erkennt die Inkassokosten voll zu
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verzögerungsschadens (§§ 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 1 BGB) umfasse nicht die gesamten, von ihr außergerichtlich aufgewandten Inkassokosten.
Anders als das Berufungsgericht meint, hat die Klägerin vorliegend mit der Beauftragung eines Inkassodienstleisters zur Einziehung ihrer Forderungen aus den Energielieferungen nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB) verstoßen und muss sich daher nicht so behandeln lassen, als hätte sie den später – nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid – mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragten Rechtsanwalt von vornherein eingeschaltet. Daher sind die – zutreffend – in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr (§ 4 Abs. 5 RDGEG a.F. i.V.m. Nr. 2300 VV RVG a.F.) geltend gemachten Inkassokosten nicht entsprechend der Vorbemerkung Nr. 4 zu Nr. 3100 Anlage 1 zu § 2 RVG in Verbindung mit § 15a RVG auf eine 0,65-Gebühr zu kürzen.
Verzug begründet Ersatzpflicht für die Inkassokosten
Noch rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich der Beklagte gemäß §§ 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Zahlung der Vergütung aus den Energielieferungen in Verzug befand. Die seitens der Klägerin nach Verzugseintritt aufgewandten Inkassokosten stellen vorliegend einen dem Grunde nach ersatzfähigen Verzugsschaden dar.
Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH, dass der Schädiger diejenigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen hat, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die Ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (vgl. BGH NJW 2015, 3793; BGHZ 220, 134; BGH NJW-RR 2020, 1507; BGH NJW-RR 2022, 707).
Erforderlich und zweckmäßig
Hiervon ausgehend war die Einschaltung eines Inkassodienstleisters durch die Klägerin – nachdem der Beklagte in Verzug war – erforderlich und zweckmäßig.
Der Beklagte hat, nachdem er durch die Klägerin außergerichtlich zur Zahlung aufgefordert worden war, keine Einwände gegen die Forderungen erhoben und diese nicht bestritten. Ausweislich der Ausführungen des BVerfG (16.4.2020 – 1 BvR 2373/19, WM 2020, 1451) hat der Beklagte im Zuge einer – noch vor Beauftragung des Inkassodienstleisters erfolgten – Anschlusssperrung sogar die Zahlung der angemahnten Forderungen zugesagt. Somit hat er weder die Erfüllung der klägerischen Forderungen ernsthaft und endgültig verweigert, noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er – aus der Ex-ante-Sicht der Klägerin – zahlungsunfähig war, so dass ein Fall, in welchem außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch den Rechtsdienstleister als nicht erfolgversprechend und daher als von vornherein nicht zweckmäßig anzusehen sein könnten, nicht gegeben ist (vgl. hierzu BGH v. 17.9.2015 – IX ZR 280/14; BGH WuM 2020, 650 Rn 10; vgl. auch BVerfG WM 2011, 2155, 2157).
Nichtreaktion begründet keine Erfolglosigkeit vorgerichtlicher Bemühungen
Hinsichtlich der Beauftragung von Rechtsanwälten ist anerkannt, dass allein die Tatsache einer ausbleibenden Reaktion des Schuldners auf Zahlungsaufforderungen des Gläubigers nicht dazu führt, dass außergerichtliche Beitreibungsbemühungen als nicht erfolgversprechend anzusehen sind und insbesondere in Fällen, in denen – wie hier – der Grund für die Nichtzahlung im Dunkeln bleibt, die Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zweckmäßig ist (vgl. BGH v. 17.9.2015 – IX ZR 280/14; BGH v. 24.2.2022 – VII ZR 320/21).
Nichts anderes gilt bei der hier gegebenen Inanspruchnahme eines Inkassodienstleisters. Die Klägerin durfte aufgrund des unterbliebenen Bestreitens ihrer Forderungen daher aus Ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sie den Beklagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen, beziehungsweise ihre Forderung im Mahnverfahren – vertreten durch den Inkassodienstleister (§ 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO) – werde titulieren können (vgl. zur grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten BVerfG WM 2011, 2155, 2156 f.; BVerfG v. 26.5.2020 – 2 BvR 1762/16; BGH v. 24.5.1967 – VIII ZR 278/64; BGH v. 27.5.2020 – VIII ZR 45/19, BGHZ 225, 352; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 286 Rn 231; BT-Drucks 18/1309, S. 19).
Berechnung zur Höhe zutreffend
Die der Klägerin durch die Einschaltung des Inkassodienstleisters entstandenen Kosten sind der Höhe nach zutreffend berechnet worden.
Die Kosten einer – wie hier – registrierten Inkassodienstleisterin für außergerichtliche Inkassodienstleistungen, die eine nicht titulierte Forderung betreffen, sind gemäß § 4 Abs. 5 RDGEG a.F. (vgl. nunmehr § 13e Abs. 1 RDG) nur bis zur Höhe der einem Rechtsanwalt nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütun...