Die Grundsätze des BGH
Der BGH hält dagegen die beiden Verfahren für nebeneinander zulässig.
Eine Klage ist als unzulässig abzuweisen, wenn für sie kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Rechtsstreitigkeiten in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, für die eine solche Prüfung nicht erforderlich ist. Grundsätzlich haben Rechtssuchende allerdings einen Anspruch darauf, dass die staatlichen Gerichte ihr Anliegen sachlich prüfen und darüber entscheiden. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt jedoch, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann.
Für eine Vollstreckungsabwehrklage besteht grundsätzlich so lange ein Rechtsschutzbedürfnis, wie der Gläubiger den Vollstreckungstitel noch in Händen hat. Dies gilt selbst dann, wenn der Gläubiger auf seine Rechte aus dem Titel verzichtet hat oder zwischen ihm und dem Schuldner Einigkeit darüber besteht, dass eine Zwangsvollstreckung nicht mehr in Betracht kommt. § 767 ZPO richtet sich nämlich nicht gegen eine Vollstreckungsmaßnahme, sondern generell gegen die Vollstreckbarkeit des Titels.
Erfüllungseinwand nach § 888 ZPO ist keine gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit
Nach dem BGH entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für seine Vollstreckungsabwehrklage nicht deshalb, weil er den Erfüllungseinwand im dem gegen ihn eingeleiteten Zwangsmittelverfahren erheben kann und erhoben hat. Die Geltendmachung des Erfüllungseinwands im Zwangsmittelverfahren nach § 888 ZPO stellt gegenüber der Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage keine gleichwertige Rechtschutzmöglichkeit dar.
Hinweis
Eine Klage ist auch dann mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn dem Kläger ein einfacherer und billigerer Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht. Auf einen verfahrensmäßig unsicheren Weg darf er allerdings nicht verwiesen werden.
Ausnahmsweise Erfüllungseinwand in der Zwangsvollstreckung
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Schuldner nicht nur im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO, sondern auch in den Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887, 888 ZPO mit seinem Einwand zu hören, der vollstreckbare Anspruch sei erfüllt (BGH NJW 2005, 367; BGH NJW-RR 2013, 1336 m.w.N.).
Bisher nicht entschieden war die Frage, ob diese Möglichkeit die Vollstreckungsgegenklage sperrt. Das verneint der BGH mit verschiedenen Argumenten:
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Dem Zwangsgeldverfahren und der Vollstreckungsgegenklage lägen unterschiedliche Streitgegenstände zugrunde. |
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Die Beurteilung der (Nicht-)Erfüllung der Titelforderung erwachse im Zwangsgeldverfahren nicht in Rechtskraft. |
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Der Zwangsmittelantrag stehe in der Dispositionsbefugnis des Gläubigers und könne jederzeit zurückgenommen werden, sodass es der Schuldner nicht in der Hand habe, dem Titel seine Vollstreckbarkeit zu nehmen. |
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Am Ende sei in beiden Verfahren auch das Prozessgericht 1. Instanz – nach § 802 ZPO ausschließlich – zur Entscheidung berufen, mithin nicht zwei Gerichte zuständig. |
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Mit der Vollstreckungsgegenklage kann zugleich die Verpflichtung zur Herausgabe des Vollstreckungstitels verbunden werden, auch wenn der Schuldner über § 775 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 776 ZPO durch die rechtskräftige Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage hinreichend geschützt sei. |
Gläubiger muss höheres Risiko bedenken
Der Gläubiger muss sehen, dass er sich bei Vollstreckungen nach §§ 887, 888 und 890 ZPO, bei denen aufgrund der Zuständigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan auch materiell-rechtliche Einwendungen zur Rechtsverteidigung vorgebracht werden können, nun einem erhöhten Prozessrisiko ausgesetzt sieht. Der Schuldner kann mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO nun unmittelbar zum "Gegenangriff" übergehen. Bisher wurde wegen der ungeklärten Frage des Verhältnisses der beiden Verteidigungsmöglichkeiten davon häufig abgesehen. Künftig wird der Bevollmächtigte des Schuldners diesen Weg aber wahrscheinlich sogar nutzen müssen, um die Rechtsverteidigung effektiv zu gestalten.
FoVo, S. 65 - 66